Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden
Autoren: Felicitas Mayall
Vom Netzwerk:
Strandwanderer die Leiche und die Spuren entdecken würde.
     
    Das Bad war köstlich und hatte genau die richtige Temperatur. Wohlige Wärme durchströmte Lauras Körper. Weil die Badewanne ein bisschen zu kurz war, legte sie die Füße auf den Rand. Das Wasser färbte sich allmählich grün und begann zu duften. Guerrini hatte fast einen halben Rosmarinbusch hineingeworfen – in Ermangelung von Rosenblättern, wie er sagte. Sie hörte ihn nebenan in der Küche werkeln. Als sie die absurde Situation dieses Morgens an sich vorüberziehen ließ, erlitt sie wieder einen Anfall unvermuteter Heiterkeit. Sie war neugierig darauf, wie sich die Dinge entwickeln würden. Einfach nur neugierig. Ohne irgendwelche Absichten, ohne Pflichtgefühl. Sie hatte keine Ahnung, was Rosmarinnadeln in heißem Wasser bewirkten. Möglicherweise löschte ihr Duft professionelle und moralische Verhaltensweisen aus. Jedenfalls hatte sie nicht die Absicht, die Carabinieri zu rufen. Dies war Angelos Land, nicht ihres. Langsam ließ sie den Kopf zurücksinken, bis nur noch ihr Gesicht aus dem Wasser lugte, und schloss die Augen.
    «Caffè oder Tee, Ophelia?»
    «Tee, mein Hamlet!» Laura hielt die Augen geschlossen und rührte sich nicht. «Sag jetzt nichts von Sein oder Nichtsein! Das wäre zu platt!»
    «Würde aber passen.»
    «Findest du?»
    «Ja, finde ich.»
    «Warum?»
    «Ganz einfach. Sein ist das, was du gerade machst und was wir gestern gemacht haben. Nichtsein bricht über uns herein, wenn wir den Polizeiapparat der südlichen Toskana mobilisieren. Ich habe ein Gedicht von Petronius für dich herausgesucht. Das könnte ich dir dann nicht mehr vortragen, amore. Du könntest stattdessen deinen Kollegen Baumann einladen, und ich Tommasini oder D’Annunzio im Gästezimmer einquartieren. Das wäre dann Nichtsein!»
    Laura öffnete ein Auge.
    «Würdest du mir das Gedicht jetzt vorlesen? Ich meine, für den Fall, dass später das Nichtsein ausbricht.»
    «Nein. Es passt jetzt nicht.»
    «Und wann passt es?»
    «Das werde ich dir dann sagen.» Damit verließ er das Badezimmer.
    Mit geschlossenen Augen sog Laura den Duft der Rosmarinnadeln ein. Irgendwie, dachte sie, irgendwie benimmt er sich wie ein italienischer Macho. Seltsamerweise hatte sie in diesem Augenblick nichts dagegen.
     
    Später frühstückten sie auf der Dachterrasse des Hauses; mit ihren Füßen schoben sie Äste und dicke Pinienzapfen zur Seite, die der Sturm zurückgelassen hatte. Sie aßen dunkelblaue Trauben, Oliven und frischen Schafskäse, bestrichen dicke Scheiben Weißbrot mit Butter und Honig. Von der Terrasse aus konnte man das Meer sehen, den Strand verbarg die Macchia. Noch immer schwebte die Insel Montecristo über dem Wasser. Aber die Wolkendecke begann aufzureißen, und Sonnenflecken jagten über die Schaumkronen. Irgendwo da draußen war ein Motorboot unterwegs. Einmal schien es sehr nahe am Strand zu fahren, dann entfernte es sich wieder.
    Guerrini aß schweigend, schaute aufs Meer hinaus. Zwischen seinen Augenbrauen stand eine steile Falte. Die feuchte Luft hatte sein dunkles Haar gekräuselt, und Laura fand, dass er mit Locken verdammt gut aussah. Sie betonten das Römische in seinen Zügen, das sie schon immer entzückt hatte.
    «Wir könnten für ein paar Tage nach Rom fahren!», sagte er unvermutet. «Dann wären wir aus dem Schlamassel raus. Wir sind einfach nicht da, wenn er gefunden wird. Wir haben keine Ahnung, und wenn wir zurückkommen, ist hoffentlich schon alles vorbei.»
    Laura schob ihren Teller zurück. «Ich finde es bedenklich, dass wir hier genüsslich frühstücken, während der arme Kerl da unten im nassen Sand liegt. Findest du nicht, dass unser Beruf einen schlechten Einfluss auf unseren Charakter hat? Ich glaube, das habe ich dich schon mal gefragt.»
    «Das, Commissaria, ist mein geringstes Problem. Ist dir bewusst, was gerade passiert? Er hat es natürlich geschafft! Er beschäftigt uns ununterbrochen! Wahrscheinlich ist er gar kein armer Kerl , wie du ihn nennst, sondern ein verdammter Drogenhändler, der sich mit seinen Kollegen gestritten hat. Wahrscheinlich arbeitet er für die Camorra oder irgendeine andere Mafia! Wahrscheinlich haben die letzte Nacht versucht, den Stoff für die reichen Säcke dieser Gegend zu liefern. Irgend so was wird es sein, und es interessiert mich nicht!»
    «Dafür, dass es dich nicht interessiert, hast du aber schon ziemlich viel darüber nachgedacht.»
    «Ich habe nicht darüber nachgedacht!» Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher