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Die Stunde Der Vampire

Die Stunde Der Vampire

Titel: Die Stunde Der Vampire
Autoren: Carrie Vaughn
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neue Stimme in meinem Kopf. Es war ein innerer Monolog, als sei sie Teil meines Bewusstseins. Diese Stimme beruhigte mich, versicherte mir, ich sei nicht
verrückt, ermahnte mich, wenn ich mich töricht benahm, und überzeugte mich, dass ich schon zurechtkäme, sobald sich Selbstzweifel in mir regten. Die Stimme klang nach meinem besten Freund T.J. Er war gestorben, um mich zu beschützen, auf den Tag genau vor sechs Wochen. Der Alpha unseres Rudels hatte ihn umgebracht, und ich hatte Denver verlassen müssen, um nicht auch noch getötet zu werden. Immer wenn mich Selbstzweifel beschlichen, hörte ich T.J.s Stimme, die mir sagte, ich käme schon zurecht.
    Sein Tod hatte eine seltsame Wirkung auf mich gehabt. Die ersten ein oder zwei Wochen hatte ich das Gefühl, es ganz gut zu verkraften. Ich hatte einen klaren Kopf behalten und machte einfach weiter. Diese Phase nennt man gemeinhin Verdrängen. Dann sah ich eines Tages auf dem Highway ein Pärchen auf einem Motorrad: Keiner von beiden trug einen Helm, ihre blonden Haare flatterten im Wind, und sie klammerte sich an seiner Lederjacke fest. Genau so, wie ich früher immer bei T.J. mitgefahren war. Das Loch, das er zurückgelassen hatte, klaffte auf einmal wieder offen, und ich musste bei der nächsten Ausfahrt anhalten, weil ich in einen heftigen Weinkrampf ausbrach. Danach fühlte ich mich wie ein Zombie. Es kam mir vor, als lebte ich ein Leben, das gar nicht mir gehörte. Dieses neue Leben, das ich mir zugelegt hatte, fühlte sich an, als sei es schon immer so gewesen, und ich müsse mich eben daran gewöhnen, ob ich nun wollte oder nicht. Früher hatte ich ein Apartment, ein Rudel und einen besten Freund gehabt. Doch jenes Leben war verschwunden.
    Ich sperrte den Wagen ab, steckte die Schlüssel in meine Jeanstasche und entfernte mich von dem Parkplatz,
verließ den Wanderweg und begab mich in die Wildnis. Die Nacht war klar und frisch. Jeder Lufthauch, jede Witterung brannte sich mir klar ein. Der geschwollene Mond, der hell erstrahlte, schob sich über die Bäume am Horizont. Er berührte mich, ich konnte spüren, wie das Licht über meine Haut strich. Ich bekam Gänsehaut an den Armen. In meinem Innern warf sich das wilde Tier hin und her. Ich fühlte mich gleichzeitig berauscht und schlecht. Ich würde glauben, mich übergeben zu müssen, doch stattdessen bräche die Wölfin aus mir hervor.
    Ich atmete weiterhin langsam und regelmäßig. Ich würde das Tier hinauslassen, wenn ich es draußen haben wollte, und keine Sekunde früher.
    Der Wald war silbern, die Bäume nur mehr Schatten. Abgefallene Blätter raschelten unter den Pfoten nachtaktiver Tiere, die sich auf Nahrungssuche befanden. Ich achtete nicht auf die Geräusche, verdrängte das Bewusstsein des Lebens um mich herum. Nachdem ich mein T-Shirt ausgezogen hatte, konnte ich spüren, wie der Mondschein meine Haut berührte.
    Ich legte meine Kleider in den Hohlraum, den ein umgestürzter Baum und ein Felsblock bildeten. Die Höhle bot genügend Platz, dass ich darin schlafen konnte, wenn ich fertig war. Ich wich zurück, nackt, ein Kitzeln in jeder einzelnen Pore.
    Ich konnte dies alleine tun. Ich war in Sicherheit.
    Ich zählte von fünf rückwärts …
    Die Eins kam als Wolfsheulen hervor.

Zwei
    Das Tier, ein Kaninchen, quiekt einmal auf,
regt sich nicht mehr. Blut füllt das Maul,
brennt wie Feuer. Dies ist Leben, Freude, Ekstase,
sich im silbernen Licht zu nähren …
    Wenn die Verwandlung in einen Wolf ein Rausch war, dann war der Tag danach definitiv der dazugehörige Kater.
    Ich lag im Schmutz, inmitten von verfaulten Blättern, nackt, und vermisste die anderen Wölfe schrecklich. Wir wachten immer zusammen in einem Haufen auf, und normalerweise spürte ich dann jedes Mal T.J. in meinem Rücken. Wenigstens konnte ich mich diesmal daran erinnern, wie ich hierhergekommen war. Ich winselte, stöhnte, streckte mich, sammelte meine Kleidung auf, bürstete mich ab und zog mich an. Der Himmel war grau; bald ginge die Sonne auf. Bis dahin wollte ich von hier verschwunden sein.
    Ich erreichte mein Auto genau in dem Augenblick, als die ersten Wanderer an diesem Morgen auf den Parkplatz einbogen. Bestimmt sah ich furchtbar aus: zerzaustes Haar, das Hemd nicht in die Hose gesteckt, Turnschuhe in der Hand. Die Leute starrten mich an. Ich warf ihnen einen zornigen Blick zu,
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