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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege
Autoren: Heimito von Doderer
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Nachweis nicht im geringsten.
    Vor allem in den »Dämonen« hat Doderer nicht nur seine persönliche Anfälligkeit für totalitäre Tendenzen thematisiert und gebannt, sondern auch jene seiner Heimat, der in feindliche Lager gespaltenen Ersten Republik, deren Untergang er in den blutigen Ausschreitungen rund um den Justizpalastbrand vom 15. Juli 1927 vorweggenommen sah.
    »Die Strudlhofstiege«, des öfteren als »Rampe« zu den »Dämonen« bezeichnet, erwies sich gleichfalls als unentbehrlich für das kulturpolitische Selbstverständnis Österreichs nach 1945. Mit kühnem Schwung schuf Doderer einen Gegenentwurf zur offiziellen Historie der Geschichtsbücher. Denn für diesen Romancier zählte der Katastrophen-Einschnitt von 1914/18 – der Riß der Zeit, der durch so vieler Herzen ging – nicht, wenigstens in der Erzählfiktion konnte er die Wunde, die real so lange nicht vernarben wollte, beinahe ungeschehen machen. Kontinuität lautet daher die Devise der »Strudlhofstiege«: Vorkommnisse aus dem Jahre 1925 werden mit solchen aus dem Vorkriegs-Wien, den goldenen Tagen von anno 1911, verknüpft, so als wäre dazwischen nichts Gewichtiges passiert, nicht ein Staat mitsamt seiner tonangebenden Gesellschaft zerfallen.
    Gleich im ersten Satz enthüllt Doderer, konventionelle Spannungsdramaturgie souverän vernachlässigend, den spektakulären Höhepunkt des Romans: daß nämlich Frau Mary K. am 21. September 1925 bei einem Straßenbahnunfall ein Bein verlieren wird.
    Keineswegs zufällig oder bloß zu dekorativen Zwecken besitzt »Die Strudlhofstiege« einen Untertitel: »Melzer und die Tiefe der Jahre«. Dieser k. u. k. Leutnant, spätere Major, noch spätere republikanische Amtsrat Melzer, den Damen seiner Umgebung neckisch Melzerich rufen, ist zwar eine Hauptfigur, aber kein Held im herkömmlichen Sinn. Weder glänzt er durch besondere Geistesgaben noch durch Schönheit, seine buchenswerte Leistung liegt auf anderem Gebiet: auch innerlich Zivilist zu werden, somit »ein ganz gewöhnlicher Mensch, das schwerste, was es zu sein gibt.« Melzers Humanisierung, also »Zivilisierung«, wird schließlich durch den Bund mit Fräulein Thea Rokitzer besiegelt – als sie, von Dichters und des Schicksals Gnaden, Hand in Hand der lebensgefährlich verwundeten Mary K. erste Hilfe leisten, ist es um das solda tische Junggesellentum geschehen. Das letzte Wort hat ein gewisser Julius Zihal – Doderer-Lesern aus dem schmalen, außerordentlich amüsanten Band »Die erleuchteten Fenster oder die Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal« vertraut – anläßlich der Verlobungsfeier des Paares. Seine Definition des Glücks in ihrem vertrackt kakanischen Kanzleistil verdient Beachtung: Glücklich sei »derjenige, dessen Bemessung seiner eigenen Ansprüche hinter einem diesfalls herabgelangten höheren Entscheid so weit zurückbleibt, daß dann naturgemäß ein erheblicher Übergenuß eintritt«. Das ist – naturgemäß – Ironie und Ernst in einem, ebenso wie Zihals stehende Wendung »Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten«, die Doderer wiederholt einstreut.
    Niemand wird jedoch der »Strudlhofstiege« gerecht, der sie bloß als simplen Entwicklungsroman mit krönendem HappyEnd begreift oder sich auf das vordergründige Zentralereignis – den Unfall – konzentriert. Die Fülle der Personen und kunstvoll ineinandergreifenden Episoden sorgt für eine panoramatische Weite des Blicks: Hier wird das Wiener Bürgertum der Epoche zwischen den Kriegen in seinen vielfältigen Schattierungen erfaßt, freilich nicht aus soziologischer Perspektive, sondern als Versammlung von Typen und Privatexistenzen – ein Teppich bunten Treibens, den der feinmaschige Text getreulich abbildet. Auch autobiographische Züge sind zu entdecken: Die Familie Stangeler ist der des Autors – bis zum Selbstmord der Schwester hin – nachempfunden, und bei René handelt es sich eindeutig um eines der zahlreichen und durchwegs kritischen Selbstporträts Doderers: Die Charakterisierung »ein junger Troglodyt« wirkt da noch relativ harmlos.
    Diese Facetten machen indes nicht den eigentlichen Reiz der »Strudlhofstiege« aus, ihren unverwechselbaren, ungebrochenen Charme. Literaturkundige Wien-Besucher benützen »Die Strudlhofstiege« als eine Art Baedeker. Nicht touristisch erstklassige Sehenswürdigkeiten hoffen sie darin zu finden, vielmehr die Stadt mit ihrer Aura, das atmosphärische Erlebnis. Und fürwahr: Das Unscheinbare verschwiegener Orte, die
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