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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege
Autoren: Heimito von Doderer
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Boden, sah dem Reiter nach und nickte kurz.
    Melz'rich, wackrer Infanteriste. Hätte ein alter Husar nicht einen Brief unterschlagen, wär' die Infanterie jetzt doch in der Klemme, bei allem Schwein, das sie gehabt (kleines Grunz-Zeichen). Nu woll'n ma mal ein anderes beginnen: nämlich deme Suetonio Tranquillo übersetzend nähertreten, denen zwölf ersten ollen Kaisern, duodecim caesaribus. Hatten ooch'n Fimmel, die Römer: mit der Kürze. Nennt den Sallustium einen allerfeinsten Meister der Kürze, »subtilissimum magistrum brevitatis«, und schreibt uns eine Lebensgeschichte des Horaz facit summa zwo Seiten im Drucke. Hätt' ma nich' ungern mehr erfahren. Aber die Kaiser werden übersetzt, füglich. Heut, feierabends, woll'n ma beginnen. Hör' mal, Ilonka, bist ooch'n eitles Biest.
    Ein deutscher Husaren-Rittmeister. Humanistischer Husar. Schulsack hing verdammt hoch. Hauptbeutel.
    Die bis in den Rand des Gesichts laufende gerade Allee saugte.
    Der Rittmeister ging in Carrière über. Ilonka streckte sich unter ihm durch und grunzte leise. »Kann ooch grunzen«, sagte er, tat's, und stürmte in seine Verlängerung davon. Wie wir alle. Wie sie alle. Sogar mit einem Bein und nicht mit vieren, wie solche der Rittmeister für diesen Morgen sich zugelegt hat. Denn er ist der Rittmeister. Nur die Toten nicht (exceptis mortuis). Doktor Negria enteilte uns auf fahrbarem Untersatze die Alserbachstraße bergan. Seine Verlängerung wäre am Ende auch noch von ohngefähr bestimmbar. Semski hat sich damals einfach – kopfschüttelnd zurückgezogen, und Negria brach wirklich über die Sandroch herein. Damit aber war's mit ihr, die ja ohnehin aus einem brüchigen, staubtrockenen Materiale bestand, gänzlich zu Ende. Sie geriet zwischen die aktivistischen Mahlgänge und kam auf der anderen Seite als ganz feines Pulver (poudre impalpable) heraus. Es liegt hier einer der wenigen Fälle vor, wo ein Weib von einem Manne bis auf den letzten Rest konsumiert wurde; ähnlich wie jene Zigaretten nach russischer Art, bei denen nicht der kleinste Stummel übrig bleibt (kein mégot, wie man in Paris, oder Tschik, wie man in Wien, keine Kippe, wie man zu Berlin sagt), so daß für den Aufsammler solcher Kostbarkeiten nur Verbitterung bereit liegt auf dem Pflaster, wenn er sich nach dem weißen Mundstücke gebückt hat. So also verhielt es sich mit der Sandroch.

    In einer Hinsicht hatte der mit dem 21. September 1925 aufgetretene Negrianismus unseres auf neue Art aktivierten Majors zum vollen Durchbruche nicht gelangen können, wie schon angedeutet worden ist: nämlich was den Termin des Hochzeitsfestes betraf. Wär's nach Melzer gegangen: man hätte sich an dem Morgen, der auf Marys Katastrophe folgte, und zwar am frühesten Morgen schon, eilenden Fußes aufgemacht und den Liechtenthaler Pfarrherrn herausgeklingelt, um das Aufgebot unverzüglich an die Tür der Kirche zu den Vierzehn Nothelfern schlagen zu lassen. (Wir aber sahen Rokitzern zu schicklicher Zeit an diesem Tage in die Generaldirektion der österreichischen Tabak-Regie sich begeben, Theas Bildnis am Busen, jene zugleich tief in einem väterlichen Herzen tragend, und Visitekarten in der Brieftasche.) Der Negrianismus also ward gebremst. Ob sich die Rokitzers sonst was Naheliegendes gedacht haben (im Grunde sind das lauter … Herr Amtsrat, Sie haben ja eh' das letzte Wort in diesem Buch, machen's mir doch jetzt, ich bitt' Sie, keine Schwierigkeiten!) – kurz: wir wissen es nicht. Wenn, dann mußte der dünn rinnende Faden solchen Verdachts im Verlaufe der Zeit schließlich einmal ganz abreißen.
    Die Hochzeit fand vor Einbruch des Winters statt, an einem noch sehr milden Tage übrigens. Für Liechtenthal war's ein großes Ereignis. Vierzehn Wagen standen vor der Kirche, welche die Braut, durch den herabwallenden Braus der Orgel wie durch einen schweren, sich teilenden Vorhang hindurchgehend, am Arme des Amtsrates Zihal betrat: wer dieses Bild sah, mußte, ob nun mehr oder weniger bewußt, erkennen, daß nahezu reine Kunstleistungen mitunter auch im Geschieb' und Getreibe des Lebens ganz unvermutet und wie von selbst zustande kommen: allerdings lösen sie ebenso rasch sich wieder auf. Hier jedenfalls erreichten Inhalt und Form ihre so vielfach zerworfene Einheit, das Dekor seine Höhe, das Geziemende seinen ganzen Glanz, da alles am natürlichen Platze sich befand und ihn voll einnahm, das junge Weib, unschuldig wie eine Rose im Garten, der würdige Brautführer, den gleichsam
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