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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege
Autoren: Heimito von Doderer
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Jahrhunderte einer Kultur vor sich herschoben, die ihn bis zu diesem Punkte geformt hatten. Die Schleppe der Braut trug die kleine Theresia Pichler. Es soll der anwesende Sektionsrat Geyrenhoff, während man vor der Kirche zum Einzuge rasch zurecht trat, sich nicht haben enthalten können, die Schleppenträgerin ein wenig zu zwicken, was verzeihlich erscheint gegenüber einem der hohen Grade von Süßigkeit, wie sie das Dasein manchmal erreicht und die als durchaus unwiderstehlich gelten können. Die Trauung bildete freilich zugleich eine jener Kontroll-Versammlungen, bei denen sich im Kirchenschiffe nicht nur herausstellt, wer da neuestens zusammengefunden hat, sondern auch, sei's gleich indirekt und über das zu kopulierende Paar, wer in einem wechselseitigen Zusammenhange verblieben ist. Man bemerkte da, außer den Eltern und Angehörigen Theas, u. a. Herrn und Frau Gustav Wedderkopp (Wiesbaden), Herrn und Frau Enrique Scarlez (Buenos Aires), Herrn und Frau Alois Pichler (Wien), die Sektionsräte Langl und Geyrenhoff, welch letzterer ja schon erwähnt worden ist, Rittmeister a. D. Freiherrn von Eulenfeld, Herrn Ernst von Marchetti, S. M. den König von Polen a. D. (Wien), einen Hofrat der Generaldirektion der österreichischen Tabak-Regie, dessen Namen wir nicht wissen (Geyrenhoff kannte ihn), ferner Herrn Kroissenbrunner und nicht zuletzt Fräulein Theresia Schachl. Das Haus Stangeler fehlte; es befand sich in Trauer. Die Mehrzahl der hier genannten Persönlichkeiten nahm später auch an dem Déjeuner teil, welches am Mehlmarkte stattfand, in einem altrenommierten Hotel. Es ist bei dieser Gelegenheit, und zwar von jenem Hofrate aus der Porzellangasse, der für solche Sachen vielleicht besonders scharfe Augen hatte, ein Konventikel beobachtet worden, das sich nach festlicher Mahlzeit und gehaltenen Reden in einem der Rauchzimmer etabliert hat und dort plötzlich unter den wandernden Accent einer fast zukunftsweisenden Bedeutung geriet, wie er manchmal auf ganz triviale und ungewollt zustande kommende Situationen fällt oder zu fallen scheint, in den Augen solcher besonders, die derartiges zu sehen eben von vornherein geneigt sind. Jenes Konventikel bestand aus drei Personen, nämlich dem Sektionsrate Geyrenhoff, dem Amtsrate Zihal und dem Werkmeister Pichler (Geyrenhoff hat später übrigens in seiner Chronik fast das gleiche notiert, wie es jener Hofrat damals schon empfand und auch äußerte). Die drei Herren führten eine sehr lebhafte Unterhaltung, an welcher sie großes Vergnügen zu finden schienen; wobei Herr von Geyrenhoff freilich sich dem Amtsrate gegenüber nicht dieses Titels, sondern der kordialeren Ansprache ›Herr Kollege‹ bediente. Später hat sich sogar das Brautpaar auch noch dazugesellt, sowie Frau Rosa Zihal und die Frau Paula Pichler. Es fehlte eigentlich nur noch der ›Strom-Meister‹; und wenn man, außer der Vergangenheit, auch die Zukunft hier wirklich herein zöge – so plan verständlich wie heute im Rückblick wirkte dieser Menschenkreis damals freilich nicht – dann fehlten eigentlich auch noch Thea Melzers Kinder.
    Zu dem Déjeuner war das Brautpaar übrigens um etwas verspätet erschienen, man hatte, schon versammelt, des längeren gewartet. Von der Kirche fuhren indessen Melzer und Thea in Frack und Brautkleid nicht etwa zum Photographen, wie das die Paare gerne tun (und wären sie sogar zu der Trafikantin Nachbar gefahren, ihr hätt' es nichts bedeutet, denn Fräulein Oplatek nahm ja an dem Déjeuner teil!), sondern direkt ins Krankenhaus zu Frau Mary. Hier war man inzwischen ja oft schon gewesen, auch zu etwas längeren Besuchen. Was bei diesen jeweils besprochen wurde, ist nicht bekannt. Auch bleibt es letzten Endes gleichgültig, ob dabei hintnach die ge wissermaßen kontaktlose Evidenz, in welcher freilich bei Melzer einerseits der Untergang Etelka Stangelers und andererseits Marys Katastrophe auf dem Bahnhofsplatze ohne Verbindung nebeneinander standen, schließlich durch Schluß und Kurzschluß sich aufhob. Es ist mindestens kaum daran zu zweifeln, daß im späteren Umgange unseres Ehepaares mit Frau K. die Sachen nach und nach zur Sprache und zu detaillierterer beiderseitiger Kenntnis gelangt sind. Einige Bitternis wird dabei Frau Mary nicht erspart geblieben sein in bezug auf das gänzlich Überflüssige ihres eiligen und unseligen Wegganges von daheim am 21. September, knapp, ja, um einige Meter nur, sozusagen, vor dem Eintreffen Stangelers. (Daß er vorher an der
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