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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege
Autoren: Heimito von Doderer
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Brücke gesäumt und geträumt hatte, ist allerdings nicht herausgekommen; so genau werden die sehr genau geschehenden Sachen überhaupt nie kontrolliert; hierin hatte der Rittmeister in seinem Gespräche mit den Zwillingen zweifelsohne recht.) Diesmal war nun der Besuch unseres Paares bei Frau Mary freilich nur ein kurzer; er glich zudem auch sonst gar sehr dem allerersten, welchen sie hier gemacht hatten. Denn gleich nach dem Eintritte gingen Thea und Melzer wieder leise und schnell auf das Krankenbett zu und knieten davor nieder. Frau Mary legte ihre Hände auf die beiden Köpfe, und Thea ließ ihren Strauß auf der Bettdecke. Alsbald zog man sich zurück. Mary schloß die Augen. Ihr Befinden an diesem Tage war kein gutes. Jedoch erinnerte sie später sich sehr genau an einige befremdliche Worte, die ihr durch den Kopf gingen, als Melzer und Thea das Zimmer wieder verlassen hatten. (Jahre danach hat sie das einmal dem Kajetan von S. erzählt.) Sie dachte, schon einschlafend: »Nun hat mich der Melzer doch noch im Single geschlagen.«
    Dabei war er nie ihr Tennispartner gewesen. Auch in Ischl nicht.
    Manche vermeinten durch Verehelichung ein Liebesverhältnis (zwischen Thea und Melzer hat es allerdings kein solches im gängigen Sinne des Worts gegeben) nicht nur konsolidieren zu können, sondern es damit auch von jeder oder wenigstens einer gewissen Art der Problematik zu befreien. Sie erwarteten jedenfalls, mit der Eheschließung etwas hinter sich zu bringen. Das mag sein. Aber sie haben damit viel mehr noch vor sich hingesetzt. Wesentlich bleibt doch, daß die Ehe nie eine Lösung bilden kann, sondern immer nur die Aufstellung eines Problems, unter dessen neues Zeichen das betreffende Paar jetzt tritt: das wäre u. a. dem René Stangeler und der Grete Siebenschein zu sagen gewesen. Anders: daß alles, was nur irgendwie mit jenem himmlischen Raubersbuam zusammenhängt, der da auf dem leeren Kaminsimse erschienen ist, niemals Probleme löst oder auch nur ordnet, sondern jedenfalls tiefer in diese hineinführt. So umgeht die Organik unseres materiellen Daseins die Tendenzen aller Definitiv-Ordner und Erfüllungs-Politiker, deren Bestrebungen sonst lange schon vor dem Beginne unseres Zeitalters die Welt zum Erstarren gebracht hätten. Es erscheint meines Erachtens unter den angegebenen Umständen (m. E. u. a. U.) mindestens erstaunlich, daß so viele bessere Romane, wenn sie gut ausgehen, mit dem Einander-Kriegen der betr. Parteien schließen. Man scheint das also für einen Schluß zu halten und nicht für einen Anfang (des Romans nämlich, was diesfällig in die Sprache der Paula Pichler übersetzt ›des Ölends‹ heißen müßte). In Wahrheit ist es und bleibt es nichts anderes als eine ausgemacht gute, ja ganz großartige Gelegenheit zur Wiederher stellung der Leere, durch Erfüllung, Entspannung und meinetwegen dadurch, daß irgendeiner Gerechtigkeit genug getan worden ist: jedenfalls wurde der chancenreichste Zustand überhaupt herbeigeführt (die Stille in der Schießbude, wenn nach dem Treffer das Geklingel und das Gezappel von Figuren und das Ratschen der ausgelösten Musik-Automaten aufgehört hat), ein Zustand, der die Möglichkeit gibt, jene ruhige Grundierung hinter das Dasein zu spannen, welche die Voraussetzung bildet, um überhaupt irgend etwas deutlich ausnehmen zu können, und bei großer Profundität sogar die Möglichkeit, weiteren groben Unfug zu inhibieren, im Sinne eines höchsten Zihalismus, ja zu eliminieren; nicht, indem man, wie jene Erfüllungs-Politiker, die Sachen als so oder so sein und bleiben sollend festlegt, sondern auf diese nun erst wartet, nie suchend, was uns nur besuchen kann, nie nehmend, was nur hinzugegeben werden kann, nie am näheren Ende aufhebend, was sich am End' eh von selber aufhebt. Hier wird also ein legitimerer Grund sichtbar, warum die Romane am Punkte des ›happyend‹ schließen: um dem lieben Leser die kostbare Erbschaft der Leere, mag sie gleich nur einen idealen Augenblick lang dauern, gleichsam in jungfräulichem Zustande zu hinterlassen; und deshalb macht sich gerade hier der Autor davon und behauptet dem Verleger gegenüber, sein Manuskript sei abgeschlossen. Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten. Damit aber sind wir, wo wir hingehören: nämlich nicht bei Melzers Hochzeits-Dejeuner – solchen Veranstaltungen kann man ja doch nur ein verlegener Gast sein – sondern in dem Garten des Schachl-Häuschens am 7. Oktober. Es war das Rosenkranzfest. Unter
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