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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege
Autoren: Heimito von Doderer
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diesem Datum fand die große VerlobungsJause statt; und wir sehen diese süße Gondel, diese Hoch zeits-Kutsche von einem Karussel des Wiener Wurstl-Praters – in etwas von dieser Art scheint uns das Gärtchen verwandelt – heute noch heiter unter klingelndem Spiel in der Tiefe der Jahre schweben, ja wie einen bunten Luftballon gegen den Oktoberhimmel steigen, in welchem ein reifes Gold stand wie Weinglanz. Hier schon ward alles vollendet, hier kam der Kristall zu seinen letzten fehlenden Flächen, und nicht etwa erst bei ›Meißl und Schadn‹ am Neuen Markt oder Mehlmarkt, wo's längst darüber hinaus war und in die Breite gegangen. Es erhob unser Amtsrat das Glas und hielt eine Rede. Ihm stand zu Gebote der gewaltige Schub einer nach Jahrhunderten schließlich in der Dienstpragmatik des k. k. Finanzministeriums vollends ausgereiften fiskalischen Sprache. Er beherrschte sie, und sie beherrschte ihn (wie in einer guten Ehe). Es hat der Amtsrat Julius Zihal damals eigentlich Großes unternommen, nämlich eine Definition des Begriffes: das Glück. Er näherte sich seiner Kernfrage und ihrem Antwort-Satz in einer Art umgekehrtem Schneeball-Systeme, indem er ein launiges Drum-Herum – sehr angebrachte Verse aus Raimunds ›Verschwender‹, sowie bärbeißige Randbemerkungen in einer uns schon sattsam bekannten Tendenz – allmählich beiseite ließ. Endlich rollte rein und rund, wie eine Billardkugel auf's grüne Tuch, die Definition hervor; sie war wohl noch mehr als eine solche, in gewissem Sinne: denn sie zeigte recht deutlich den Weg, auf dem ein ganzer Volks-Stamm in seiner Eigentümlichkeit allein zum Glücke gelangen, allein sich darin befestigen kann. »Glücklich ist nicht« (so hat der Amtsrat am Ende zusammengefaßt) »wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist; so etwas kann überhaupt nur in einer Operette vorkommen. Eine derartige Auffassung würde nicht weniger wie ein Unterbleiben der Evidenz bedeuten, beziehungsweise als solches anzusehen sein. Glücklich ist vielmehr derjenige, dessen Bemessung seiner eigenen Ansprüche hinter einem diesfalls herabgelangten höheren Entscheid so weit zurückbleibt, daß dann naturgemäß ein erheblicher Übergenuß eintritt.« Was soll man hier noch sagen! Und paßte es nicht wirklich auf den Majoren?

Ulrich Weinzierl
    Heimito von Doderer Die Strudlhofstiege
    – Beiheft –

Bibliothek des 20. Jahrhunderts
    herausgegeben
    von Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki

»Doderer hatte das Weltgefühl Österreichs in sich, wie Hofmannsthal. Er hatte zugleich, wie Schnitzler, die parochiale Enge Wiens, den Tiefgang, der nur durch Grabungen auf kleinstem Raum erreichbar ist.«
    Hilde Spiel

Ulrich Weinzierl  
    Heimito von Doderer – Die Strudlhofstiege
    An Selbstbewußtsein gegenüber den Großen des Jahrhunderts gebrach es ihm offenbar nicht, bemängelte er doch in einem Atemzug den »Salzburger Schnürlregen der Assoziationen bei James Joyce, die im Essayismus erstickende fadendünne Handlung bei Musil und die geradezu gewaltige Dynamik der Langeweile bei Marcel Proust«. Noch eine weitere stolze Äußerung von ihm ist überliefert. Nicht ohne ressentimentale Spitze gegen Robert Musil pflegte Heimito von Doderer fest- und klarzustellen: »Ich schreibe keine Fragmente.«
    Der geniale Fragmentarist Musil wiederum hat den jüngeren Kollegen durch Nichtbeachtung gestraft, ihn einzig und allein in der Rolle des »begeisterten Güterslohanhängers« wahrgenommen. Und auch Hermann Broch, mit dem Doderer oft – zumindest als poetologischer Widerpart – zusammen genannt wird, schien er keine Erwähnung wert. Weshalb nun diese Ignoranz bei den nur wenig älteren Zeitgenossen von weltliterarischem Rang? Immerhin sollte ihm ja »Der Spiegel«
    1957 eine Titelgeschichte widmen und ihn – nachdem Thomas Mann, Benn und Brecht gestorben waren – zum Anwärter auf einen der »verwaisten Thronsessel der deutschen Literatur« ausrufen. Und auch der notorisch boshafte Robert Neumann, dem Doderer gewiß zutiefst zuwider war, hat diesen »altösterreichischen Kauz« höchster Ehren für würdig befunden: »Fällt einmal der Nobelpreis an Österreich, so ist er der tauglichste, weil typischste, Kandidat.«
    Die Widersprüche sind leicht aufzulösen – der bedeutende Prosaist Heimito von Doderer ist spät gereift. Ein zweiter Fontane, debütierte er gleichsam erst im Alter, obwohl er schon lange und mancherlei publiziert hatte. »Die Strudlhofstiege«, 1951 erschienen, machte ihn
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