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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege
Autoren: Heimito von Doderer
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Banalität einer Frau hatte den Doktor Negria noch nie ernstlich behindert; und so ging er bald zu neuem Vorstoß über. Er besaß seit einiger Zeit ein Ruderboot, nicht für sportliche Zwecke gebaut, also hinlänglich breit, aber doch ein elegantes hübsches Fahrzeug. Es lag bei der Abzweigung des sogenannten Donaukanales oberhalb der Stadt in Nußdorf. Wenn ein rumänischer oder serbischer Dampfer mit Schleppzügen stromauf kam, dann wußte es Negria, in seiner Sprache oder serbisch redend, leicht zu erreichen, daß ihm ein Tau zugeworfen ward, und so kam er bis Greifenstein und Tulln und noch viel weiter und gondelte sodann wohlgelaunt stromab, nicht ohne vor dem Losmachen des Taus noch ein Päckchen österreichischer Zigaretten mit vielem Dank auf den hohen Bord des Schleppkahns hinaufzuwerfen. Mit der Zeit kam es auf solche Art zu Bekanntschaften mit Schiffsleuten und ein oder dem anderen Dampferkapitän, auch auf dem ›Kanal‹, den Negria ebenfalls befahren hatte, durchs Herz der Stadt hindurch und bis zum sogenannten ›Praterspitz‹, wo der Arm unterhalb der Stadt wieder in den Hauptstrom mündet.
    Dabei mußte er nun freilich in nächster Nähe von Marys Wohnung vorbeikommen, und so entstand bei ihm der Vorsatz, Frau Mary zu einer Kahnfahrt einzuladen, wobei man vorher in Nußdorf zum Wein gehen konnte, bei einem der verschwiegenen ›Heurigen‹, die Negria so ziemlich alle schon kannte. Er war sich klar darüber, daß es um einen Titel für ein Rendezvous mit ihr außer Hause ging, welches er ja vor allem anstrebte, zugleich den Boden weiter hinaus vorbereitend durch gelegentliche Bemerkungen bezüglich kleiner Mißstände in seiner schönen Junggesellenwohnung, die eines sachverständigen Auges bedürftig waren (auch ließ er beiläufig einiges fallen über rumänische Bauernstickereien und andere nationale Altertümer, die er besaß, und brachte eine herrliche Arbeit dieser Art Frau Mary zum Geschenke).
    Im Vorbeigleiten auf dem ›Kanal‹ hatte Negria einen bequemen Landungsplatz entdeckt und, das Boot zum Ufer treibend, sogar einen Ring, der ihm erlaubte, sein Schiff mit Kette und Schloß festzumachen. Das war nun in allernächster Nähe jenes Standplatzes der Autotaxis, die dort gleichmäßig den Fahrdamm überrollend durch die Jahre fädelten.
    Oskar K. war nach einer halben Stunde gekommen und erfreute sich des anwesenden Gastes in einer stillen und nicht eben durchsichtigen Art. Er gehörte zu jenen Leuten, deren Sein etwas Konkaves, Hohlspiegelartiges an sich hat. Man ist da immer geneigt, Brennpunkte des Geistes zu vermuten, bis nicht das Gegenteil evident wird. Wer viel schweigt, hört und sieht viel, ohne Zweifel. Aber daß solche Zurückhaltung einfach einem erstaunlichen Mangel an Feuer entspringen könne, nimmt zunächst niemand an. Daß stille Wasser tief sind, ist eine Grundüberzeugung, die jeder hat; und mindestens sind diese Wasser unheimlich. Aber man hat sich auch schon aufmerksam über welche gebeugt, die in kaum Handtiefe nur gewöhnliche Kiesel am Grunde sehen ließen. Das Gesicht des Mannes, der sich eben hier am Teetisch niedergelassen hat, gehört einer seltenen Art an, die aber bei jüdischen Männern eher noch gefunden werden kann als bei anderen, wenngleich solch ein Antlitz eine ganz allgemeine physiognomische Möglichkeit verwirklicht. Es ist ein nicht ganz zustande gekommenes Gesicht, oder wenn man so lieber will, der Schau- und Bauplatz höchst unverträglicher Materialien, die sich schon in den Ahnen nicht haben einigen lassen, jetzt aber in Zerknall und Zerfall geraten sind, wie nach einer Explosion. Hiedurch entsteht eine außerordentliche Häßlichkeit, die um so profunder ist als sie nicht an einem Nasenerker, einer Kinnlade, einem verkniffenen Aug' oder sonst an einzelnen Bauteilen sich verhaftet zeigt, sondern demgegenüber sozusagen in zwischendinglicher Schwebe bleibt, ein in der Luft hängen des Band (denn das ist es eben doch!), welches das Disparate nicht bindet und die Dissonanz immerfort stehen läßt. Solch ein Gesicht sieht aus, als trüge dieser Mensch an einer auferlegten Buße für ihm unbekannte Schuld.
    Kein Zweifel, daß er hier die Stärke und die Schwäche seiner Position genau erkannte, soweit von Genauigkeit die Rede sein kann, bei den schwebenden und wie Nebel veränderlichen Empfindungen, die man in solchen Sachen hat. Aber seine Frau glaubte Oskar zumindest besser zu verstehen als sie sich selbst verstand. In dieser Ehe waren jetzt noch,
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