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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gemein, dachte er. Und ich bin so ziemlich der gemeinste Teil in ihr. Ich suche Tänzerinnen, verspreche ihnen goldene Berge, freudig und voll Zukunftshoffnungen fahren sie mit den Schiffen in fremde Länder und landen in einem Hafenbordell – denn keine von ihnen hat das Geld zur Rückfahrt. Verdammt, das ist eine große Schweinerei, man nennt es Mädchenhandel, aber man sieht dem Geld, das man dabei verdient, nicht an, woher es kommt. Wie schmierig stände sonst mancher da, den man heute als ein Vorbild der Lauterkeit verehrt.
    Er schob mit einer zagen Bewegung das flache Päckchen zurück und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Nehmen Sie das Geld, Fräulein Sievert. Was uns an Kosten entsteht, werden wir zur gegebenen Zeit verrechnen. Kommen Sie morgen wieder! Mehr kann ich Ihnen noch nicht sagen.«
    Die Wilmersdorfer Straße ist lang. Doch was sind Entfernungen für ein junges, glückliches Mädchen?
    Die Handtasche um die Hand schleudernd, ging Hilde Sievert durch Berlin. In ihr waren Jubel und überströmende Freude. Die Last der langen kargen Jahre war in wenigen Stunden abgefallen, ein neues Leben öffnete sich dem inneren Blick, der es vorauszuschauen meinte: ein Leben an der Seite Dr. Hans Sieverts, des großen Bruders, den sie in der Wüste finden würde.
    In der Wüste. Sie dachte an die vielen Karten, die sie sich schon gekauft hatte, an die Speziallandkarten, die oft den Erlös einer Woche harter Arbeit kosteten; sie dachte an die Bücher, die sie über Afrika gelesen hatte, an die Berichte der Männer, die die Sahara durchzogen, und an den einen Satz, der sie stutzig gemacht hatte: »Noch heute hält die Wüste Geheimnisse zurück, die wir nicht lösen können, wie etwa jenen blonden, stillen Mann, den ich inmitten einer ziehenden Nomadenschar entdeckte, einen Mann, der aussah wie ein Europäer und den man am nächsten Tag, als ich ihn sprechen wollte, nicht mehr im Lager sah. Niemand wußte auch, wie er hieß und woher er kam – ein Mensch am Rande der Welt.«
    In diesem Augenblick wußte sie, daß ihr Bruder lebte! Es konnte niemand anderes sein als Dr. Hans Sievert, der Vermißte, nach dem man 1944 ganz Tunesien durchsuchte, auf dessen Ergreifung die Engländer tausend Pfund setzten, auf einen Kopf, der die Geheimnisse neuer Strahlen nicht preisgab. Südlich Bou Saâda, in der Sandwüste nach Laghouat, hatte man den fremden blonden Mann gesehen, aber die Welt las darüber hinweg; es war ja nur ein kleiner Abschnitt in einem Bericht, der am Rande des Feuilletons veröffentlicht wurde.
    Von diesem Tag an arbeitete sie nur für den Gedanken der Befreiung. Sie suchte sich Arbeit, an der sie in ihrer kleinen Dachkammer die Nächte hindurch saß und sich wachhielt mit Kaffee und Zigaretten. Sie webte und stickte, bis ihre Fingerspitzen dick und hornig wurden, sie zeichnete und entwarf, bemalte Porzellan und spritzte Goldverzierungen auf seidene Cocktailkleider, sie rannte in Berlin die Kunstgeschäfte ab und bot Aquarelle und kleine Tonplastiken an, und wenn sie müde war und die Arbeit aus der Hand legte, nahm sie die Bücher und Karten und studierte die Wüste.
    Sie besuchte die Bibliotheken, sparte sich das Geld ab, um in der Volkshochschule Geographie zu hören, und verbiß sich mit dem Trotz, den eine schwere Aufgabe erzeugt, in das unbekannte Gebiet der Sahara. Sie lernte die Oasen auswendig, studierte auf den Spezialkarten die Karawanenwege und begann, in mühseliger Arbeit, ein wenig Arabisch zu lernen, die Sprache der Kehl- und Rachenlaute, die gerade dem Deutschen so schwer wie kaum eine andere Sprache fällt.
    Zwei Jahre lang bereitete sie sich auf die Reise nach Afrika vor, zwei lange Jahre ohne Erholung und Ruhe. Und nun war es endlich soweit, nun hatte sie ein Engagement als Tänzerin, kam billig über das Mittelmeer und konnte die Suche aufnehmen.
    Die Suche durch eine Wüste, die größer als Europa ist!
    An einer Ecke blieb sie stehen und öffnete den Schnappverschluß ihrer Tasche. Verstohlen zählte sie das Geld in dem Seitentäschchen. Acht Mark sechzig.
    Man müßte heute leichtsinnig sein, durchfuhr es sie. Man müßte einmal essen gehen.
    An der anderen Ecke leuchtete ein Schild: Paulaner-Bräu.
    Die Drehtür schlug ihr gegen die Hacken, als sie in das Lokal wirbelte. Mit einem Lächeln erwiderte sie den erstaunten Blick des Obers.
    Mit einer Fröhlichkeit, die Nichteingeweihten rätselhaft sein mußte, verlangte sie die Speisekarte und suchte sich ein Gedeck aus der
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