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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stinkenden, unheimlich schmutzigen Wächtern zusammen. Nur in den Felshöhlen des Atlas oder des Hoggar bin ich endlich allein, dann habe ich Zeit, ich kann denken, kann mich erinnern, kann hoffen, und ich kann mein Dasein verfluchen, das so sinnlos ist wie alles um mich herum.
    Und Amar Ben Belkacem lächelte. »Hat es Ihnen bis heute an irgend etwas gefehlt?« fragte er mit seiner schleimigen Freundlichkeit. »Sie haben immer zu essen, Hammelbraten, Oliven, Feigen, Früchte, Milch. Sie bekommen unseren Kaffee, Sie schlafen auf guten Teppichen. Siebenmal haben Sie sogar Wein bekommen.«
    »In zwei Jahren!«
    Amar Ben Belkacem sah an die feuchte, warme Höhlenwand. »Zwei Jahre ist es schon her? Allah läßt die Zeit schnell vergehen! Es war eine gute Zeit.«
    »Für Sie, Amar!«
    »Für Sie nicht, Doktor?«
    »Soll ich als Gefangener ja sagen? Das wäre zuviel an Freundlichkeit!«
    Amar Ben Belkacem hob abwehrend die Hand. An seinem Ringfinger glänzte ein dicker Brillant. Er muß unschätzbar reich sein, dachte ich. Ihm gehören riesige Güter, große Herden, über zweitausend Kamele – er unterhält Handelsbeziehungen nach Frankreich, England, Amerika und – Deutschland!
    »Sie sind unser Gast«, sagte er sanft. »Daß wir Sie so ›umsorgen‹ müssen, ist Ihre Schuld, Doktor. Sie haben auf unser Angebot mit einem Nein geantwortet … und wir boten Ihnen hunderttausend Dollar!«
    »Die Wüste ist mehr wert!«
    »Ich weiß, Doktor. Sie haben entdeckt, daß man die Wüste fruchtbar machen kann. Sie haben die unterirdischen Wasseradern aufgespürt, unser größtes Geheimnis. Sie haben es in der Hand, aus der Sahara einen großen, einmalig fruchtbaren Garten zu machen, mit zwei oder gar drei Ernten im Jahr! Sie haben entdeckt, daß bis hinter dem Hoggar, bis zum Beginn der Steppe am Niger, die ganze Wüste ein kultivierter Boden sein könnte. Warum haben Sie dieses Wissen nicht für sich behalten!«
    Ich richtete mich auf. Jetzt saßen wir uns gegenüber und sahen uns in die Augen. Amar Ben Belkacem hatte die Arme unter der Djellabah verschränkt, seine schmalen Lippen waren zusammengepreßt. Wie eine Statue saß er vor mir auf dem Höhlenboden; die Spitzen seiner reich verzierten, schnabelförmigen Reitstiefel sahen unter dem Mantelrand hervor.
    »Die Menschheit braucht Land!« sagte ich scharf. »Die Völker werden verhungern, wenn man kein neues Kulturland erschließt! Die Zahl der Menschen übersteigt das Maß ihrer eigenen Länder! Wir müssen neues Land gewinnen!«
    »Und wir?« Amar Ben Belkacem sagte es ganz ruhig, ohne Leidenschaft, und doch wurde mir in diesem Augenblick bewußt, daß ich einer anderen Welt gegenübersaß. »Wenn die Wüste fruchtbar wird, kommt der weiße Mann nach! Man wird uns vertreiben, man wird uns vernichten mit den modernsten Waffen, weil wir unser Land lieben und nicht hergeben wollen. Man wird uns zusammenschießen wie die Kaffern und Indianer, wie die Mahdisten und brasilianischen Indios. Was uns bleibt, ist der Tod! Solange die Wüste aber Sand und Stein ist, gehört sie uns. Niemand stört uns, frei können wir über die Sahara herrschen. Allah hat die Wüste geschaffen als Grenze für den weißen Mann!«
    »Aber sie nützt euch doch nichts!«
    »Sie ist da! Das genügt. Sie bringt uns Datteln, Melonen, Oliven, Kamelmilch und Hammelfleisch – mehr brauchen wir nicht. Wir sind glücklich, wenn wir das haben. Und da kommen Sie in unser Land und decken die Geheimnisse auf, die seit Jahrhunderten in der Seele unseres Volkes schliefen.« Amar Ben Belkacem erhob sich, seine Djellabah raschelte leise. Groß, hager, wie aus den Felsen seiner Sahara geschlagen, stand er in der heißen Höhle. Draußen wehte der Wind, trieb der Sand über die Wüste, glühte die Sonne. »Was darf ich Ihnen noch bringen lassen?« fragte er höflich.
    »Die Freiheit!« schrie ich und sprang auf.
    »Wenn Sie uns Ihr Ehrenwort geben, Doktor –«
    »Ich würde meine Welt verraten!«
    »Und ich die meine.«
    Er verließ schnell die Höhle.
    Das war gestern, am 23. Juli 1957! Ich muß mir dieses Datum merken – vielleicht ist es einmal wichtig, wenn man meine Tagebücher findet, irgendwo verblichen im Wüstensand oder in einer Atlasschlucht zwischen Ghardaia und Chiffa.
    Ich habe in der Nacht viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, ob es Sinn hat, mir diese Leiden aufzubürden. Warum gebe ich denn nicht mein Ehrenwort, nichts zu verraten von der möglichen Fruchtbarkeit der Sahara? Ist es wirklich das
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