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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende
Autoren: Heinz G. Konsalik
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anfällig.« Pertussi steckte sich eine Zigarette an. »Eine Art von Mondsucht.« Er lachte. »Wenn es nach den Träumen ginge … Ich träume oft von Millionen, ohne Aussicht, sie jemals zu bekommen!«
    Das Mädchen sah zu Boden. »Ich bin seine Schwester«, sagte sie leise. »Hilde Sievert heiße ich. Ich war ein Kind, als Hans vermißt wurde. Jetzt bin ich fünfundzwanzig Jahre. Und ich spüre, daß er noch lebt.«
    Pertussi kaute an seiner Unterlippe. Sein Gesicht war verschlossen und eigentümlich abweisend. »Und ich soll Ihnen helfen? Ich! Wie kommen Sie gerade auf mich? Ich denke doch, daß dies eine Angelegenheit des Internationalen Roten Kreuzes ist.«
    »Ich habe alles versucht.« Hilde Sievert kramte in ihrer Tasche und zog einen Stapel Briefe hervor, die von einem doppelten Gummibändchen zusammengehalten wurden. »Rotes Kreuz, Suchdienst, britische Gefangenenforschungsstelle, schweizerisches Konsulat in Tunis, Algier und Marrakesch. Vermißt. Mit dem Tod ist fest zu rechnen. Fünfzehn Jahre bleibt keiner freiwillig in der Wüste, ohne Nachricht zu geben! Wenn er noch lebte, würde er bestimmt geschrieben haben!«
    »Und das genügt Ihnen nicht?«
    »Nein! Denn er lebt!«
    »Nur, weil Sie das geträumt haben?«
    »Ja.«
    »Sie sind ein hartnäckiges Mädchen!« Pertussi blickte aus dem Fenster. Die Hände hielt er auf dem Rücken gekreuzt. »Und was soll ich dabei tun?«
    »Sie sollen mich für die Tanztruppe engagieren, die nach Nordafrika reist. Bin ich erst einmal drüben in Afrika, dann komme ich auch allein weiter. Aber ich habe das Geld nicht, um nach Afrika zu fahren! Als die Russen Berlin eroberten, wurde unser Haus zusammengeschossen. Ich wohne jetzt möbliert in einem kleinen Zimmer in Dahlem.«
    »Und wovon leben Sie?«
    »Ich bin Kunstgewerblerin. Ich bemale Kacheln, zeichne Porzellanmuster und webe auf einem kleinen Handwebstuhl Tischdecken und Stoffe.«
    Pertussi wandte sich langsam um. Sein musternder Blick glitt über sie hinweg mit einer Steifheit, die innere Ablehnung signalisierte.
    Was soll ich mit ihr tun, dachte er dabei. Sie ist hübsch, sie ist eines jener Mädchen, die ich suche. Ich könnte sie engagieren … Aber da ist im Herzen doch noch ein wenig Anständigkeit, die es mir verbietet, sie dorthin zu schaffen, wohin die anderen Mädchen gebracht werden sollen. Was weiß sie denn von den Lokalen, die die ›Transatlantik‹ mit Mädchen beliefert? Ahnt sie überhaupt, vor wem sie steht, vor welch einem mitleidlosen Seelenverkäufer, den Hunderte von Mädchen in aller Welt verfluchen, wenn sie statt in einem Kabarett in einer südamerikanischen kleinen Gasse landen, in Häusern, wo man nicht nach tänzerischem Können fragt. In São Paulo oder Rio, in Algier oder Tablat, in New Orleans oder Vera Cruz, in Palma oder Lima, überall findet man sie, die Pertussi-Mädchen, die dummen, schönen Mädchen aus Deutschland.
    Pertussi drückte die Zigarette in dem bronzenen Aschenbecher aus und sah von unten zu Hilde Sievert hinauf. »Sie wollen freiwillig nach Nordafrika?«
    »Ja.« Hoffnung glomm in ihren Augen auf.
    »Auf eigene Gefahr?«
    »Ja.«
    »Sie werden tanzen und sich uns unterordnen müssen.«
    »Das will ich, wenn ich nur nach Afrika komme.«
    Pertussi spürte, wie seine Handflächen feucht wurden. Er rieb sie an seiner Hose ab und setzte sich dabei. »Sie werden uns unterschreiben müssen, daß Sie im Falle von – sagen wir – Schwierigkeiten keinerlei Anspruch auf Entschädigung uns gegenüber besitzen.«
    »Natürlich nicht.« Hilde Sievert umklammerte die Tasche und starrte Pertussi an. »Soll das heißen, daß … daß Sie mich engagieren … nach Afrika?«
    »Vielleicht.« Pertussi sah auf seine manikürten Hände. Lange Hände mit schmalen, krallenartigen Fingern, sehr bleich und vornehm, aber erschreckend in ihrer Tierhaftigkeit. »Ich möchte mir die Sache bis morgen überlegen. Schließlich haben wir Kosten dadurch, die Sie ja nicht wieder einspielen können.«
    Hilde Sievert erhob sich. Sie nahm aus ihrer Tasche ein flaches, kleines Päckchen und legte es auf den Tisch vor Pertussi. »Ich habe gespart«, sagte sie leise. »Es sind nur dreihundert Mark. Mehr kann ich nicht geben. Nehmen Sie es. Wenn ich Hans gefunden habe, wird er Ihnen alles ersetzen.«
    In ihren Worten, in der Gebärde, mit der sie das Geld auf den Tisch legte, lag so viel Kindlichkeit, daß sich Pertussi beschämt mit der Illustrierten beschäftigte und sie sinnlos zerdrückte. Die Welt ist
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