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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds
Autoren: Walter Jon Williams
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dunkler werdenden Himmel und spiegelten einen polierten Sonnenuntergang in Arizona, der von dort aus, wo Steward inmitten der Gründlinge herumlief, selbst nicht zu sehen war. Er hatte sein grünes Armband unter einem hellblauen Baumwollärmel weit hochgeschoben, als er eine klimatisierte Fußgänger-Plaza überquerte, deren durchsichtiges Dach von sich verändernden Kunstformen wimmelte und deren Boden von Taubenmist befleckt war. Hinter einem Meer auf und ab tanzender Köpfe stand Ardala mit den grünen Augen und winkte ihm zu. Ihr hellbraunes Haar schwang hin und her. Das Make-up um ihre Augen herum war extravagant, wie Schmetterlingsflügel, eine neue Mode, die irgendwo jenseits des Marsorbits aufgekommen war.
    Sie und Steward küßten sich zur Begrüßung. Steward verspürte einen leichten Schock, als er erkannte, daß diese Frau eine Fremde war. Er fragte sich, wie er es je fertiggebracht hatte, in diesen Augen, in diesem Lächeln Natalie zu sehen.
    Sie gingen in die Bar, in der sie sich verabredet hatten. Dunkle Plüschsitze, weiße Plastiktische, Kellnerinnen, kurios gekleidet in Korsetts und kurzen Röcken, wie sie Mode waren vor dreißig Jahren. In einer Ecke stand ein Piano-Synthesizer aus glänzendem schwarzen Plastik mit reichen Chromverzierungen. Steward mochte den Laden nicht. Er kam ihm wie eine jener Bars vor, wo Leute hingingen, um Haschisch zu rauchen und ihre Investitionen zu erörtern. Steward wollte nicht über Investitionen nachdenken. In gewissem Sinn war er genau das: eine Investition.
    Er bestellte eine Trauerweide und bezahlte sie von der Beihilfe, die ihm die Versicherungsgesellschaft für die nächsten zehn Monate gewähren würde. Kleine Angstzustände schienen wie statische Funken auf seiner Hautoberfläche zu tanzen. Ardala bestellte ein Glas Wein. »Ich muß dir was erzählen«, sagte er.
    Sie neigte munter den Kopf. »Ich hör' dir zu.«
    Er erzählte es ihr, und sie schüttelte den Kopf und grinste. »Hol mich der Teufel«, sagte sie. »Kein Wunder, daß du so jung aussiehst. Du bist jung.«
    »Ich bin drei Monate alt«, sagte er.
    »Und du hast nur seine Erinnerungen, die er vor fünfzehn Jahren hatte? Vor dem Krieg und allem?«
    Steward nickte. »Sie bezeichnen ihn als den Alpha-Körper, seine Erinnerungen als die Alpha-Erinnerungen. Sie haben mir beigebracht, ihn mir so vorzustellen. Ich bin Beta.«
    »So was Blödes.« Ardalas Augen verengten sich. »Einen Moment lang dachte ich, er wäre im Krieg ums Leben gekommen, weißt du, zusammen mit all den anderen. Aber das kann nicht sein, oder? Sonst wärst du älter.«
    »Er ist vor ungefähr acht Monaten getötet worden, auf dem Wohnsatelliten Ricot. Ermordet. Wie, weiß ich nicht. Sein Gedächtnisspeicher hat nie ein Update bekommen. Ich möchte wirklich wissen, was mit ihm passiert ist.«
    Sie streckte eine schlanke braune Hand aus und nahm seine Finger. In ihrem Blick sah er Verständnis. »Das hatte nichts mit dir zu tun.«
    »Doch, das spüre ich. Irgendwie.«
    »Alles, an was du dich erinnerst«, sagte sie, »ist also das, was er wußte, unmittelbar bevor er losgeflogen ist. Immer noch mit Natalie verheiratet und alles.«
    Steward holte Luft. »Ich denke dauernd … vielleicht wollte er einfach nicht, daß ich über den Krieg Bescheid weiß. Was er durchgemacht hat. Vielleicht wollte er mir bloß die Schmerzen ersparen.«
    Wahrscheinlicher war, wie Steward wußte, daß sich der Alpha einfach nicht mehr darum gekümmert oder vergessen hatte, daß er seine Erinnerungen auf Faden aufgenommen und ein Stück Fleisch in einer Kältekammer deponiert hatte, bevor alles zerstört worden war, was ihm am Herzen lag, damit beides erweckt werden konnte, wenn er auf Sheol ums Leben kam. So daß Natalie nicht zur Witwe werden würde und ohne die Annehmlichkeiten leben mußte, die sie als Frau eines Eisfalken genoß.
    Die Drinks kamen. Ardala zog einen Kreditstachel aus ihrem Armband und gab ihn der Kellnerin. Steward nippte an seiner chinesischen Weide. Feuer brannte tief in seiner Kehle.
    »Was willst du jetzt machen?« fragte sie.
    »Mich nach einem Job umsehen.«
    »Nach was für einem?«
    »Keine Ahnung. Kohärentes Licht hat mir ein paar sehr spezielle Fähigkeiten vermittelt. Ich nehme an, die sind auf dem heutigen Arbeitsmarkt nicht sonderlich gefragt.«
    »Sicherheitsarbeit?«
    »Das … hat der andere gemacht. Der Alpha. Hat sich nicht gelohnt für ihn.«
    Ardala kaute an ihrer großzügigen Unterlippe. »Laß mich drüber
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