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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds
Autoren: Walter Jon Williams
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analysieren. Ich bin hier, um Ihnen einen Crash-Kurs in der Wirklichkeit zu geben und Sie dann mit einem Tritt in die Welt hinauszubefördern.« Ashraf legte seine Hände sorgfältig flach auf den Schreibtisch. Er blickte zu Steward hoch.
    Der Geist wie Wasser, sagte sich Steward. Er versuchte ruhig zu bleiben.
    Es klappte nicht.
     
    »Meine Frau ist noch am Leben, stimmt's?«
    »Sie lebt im Orbit. Sie will Sie nicht sehen.«
    Steward blickte stirnrunzelnd zur grauen Decke hoch. »Warum nicht?«
    »Das hatten wir doch alles schon.«
    »Ich weiß, daß Sie die Informationen haben. Ich muß das wissen. Sie muß doch einen Grund dafür angegeben haben.«
    Eine kurze Pause entstand, was bedeutete, daß Ashraf überlegte, auf welche Weise er seinen Patienten am besten dazu bringen konnte, die Situation, die Ashraf als »Wirklichkeit« bezeichnete, zu verstehen und zu akzeptieren. Ob es am besten war, ein Gespenst zur Ruhe zu legen, oder so zu tun, als ob es nicht existierte.
    »Sie meint«, sagte Ashraf bedachtsam, »daß sie ausgenutzt worden ist. Und zwar schlimm. Und daß sie nicht noch einmal ausgenutzt werden will.«
    Steward fühlte, wie seine Nerven warm wurden. Dunkel spürte er, daß es hier um etwas Wichtiges ging. »Ausgenutzt? Wie?«
    »Diese Information habe ich nicht.«
    »Hat das die zweite Frau gesagt? Wie heißt sie gleich noch, Wandis?«
    Eine weitere kleine Pause. »Ja. Sie hat gesagt, daß er sie nur manipuliert hätte, daß sie Sie nicht sehen will.«
    »Das war ich nicht.«
    »Sie müssen Ihre eigenen Bindungen aufbauen, Mr. Steward. Die Vergangenheit ist für Sie abgeschlossen. Und Wandis ist für Sie nur ein Name. Sie sollte Ihnen überhaupt nichts bedeuten.«
    Steward spürte, wie eine winzige Klaue an seinem Geist zerrte und auf etwas Wichtiges hinwies; wenn er nur verstehen könnte, auf was.
    »Das war ich nicht«, sagte er wieder.
     
    »Ich hab' jemanden getroffen«, sagte Steward. »Jemanden von früher.« In seinem Innern verspürte er das phantomartige Bedürfnis nach einer Zigarette. Während seiner Mitgliedschaft bei Kohärentem Licht hatte er aufgehört zu rauchen. Sie waren der Meinung gewesen, es wäre gut für ihn.
    »Wo?« fragte Dr. Ashraf. »Wann?«
    »Es war Zufall. Vor zwei Tagen bin ich in den Zoo gegangen und hab' sie gesehen. Sie hat mich erkannt. Sie war mit ihrer – Nichte da, hat sie, glaube ich, gesagt.«
    »Wer?« fragte Ashraf.
    »Ihr Name war – ist Ardala. Ihre Eltern waren unsere Nachbarn im KL-Komplex in Kingston, zu der Zeit, als Natalie und ich zur Ausbildung dort waren. Sie war damals dreizehn oder vierzehn, glaube ich.«
    Steward sah Natalies Gesicht, die breite weiße Stirn, die nicht braun werden wollte, wie sehr sie sich auch bemühte, das dunkle Haar, das ihr starkes Kinn einrahmte, breite Wangenknochen, grüne Augen, die volle, großzügige Unterlippe.
    »Wir haben uns am Abend auf einen Drink getroffen, nachdem sie ihre Nichte nach – nach sonstwo zurückgebracht hat. Haben uns unterhalten. Sie arbeitet in einem Arbeitsvermittlungsbüro.«
    »Sie haben ihr nichts erzählt?«
    Natalie, die auf einem Balkon mit verschlungenen schmiedeeisernen Verzierungen saß, das Gesicht von Zigarettenrauch umwölkt, während Gewehrfeuer von den pinkfarbenen Stuckwänden widerhallte.
    »Ich hab' ihr erzählt, daß ich geschieden bin. Sie meinte, das würde mich jünger machen.« Steward konnte den Tabak fast schmecken.
    »Sie hätten es ihr erzählen sollen, Mr. Steward«, sagte Ashraf.
    »Sie hat mich gefragt, ob ich mit zu ihr kommen wollte.« Sie hatte Natalies Augen gehabt. »Ich sagte ja.« Dann war auch alles übrige an ihr zu Natalie geworden, im Rauch, im Dunkeln, im Feuer.
    »Mr. Steward« – Ashraf war ungehalten –, »das ist ihre erste Bindung außerhalb des Krankenhauses.« Bindung? dachte Steward.
    »Sie dürfen eine Beziehung nicht mit einer so grundlegenden Täuschung anfangen«, sagte Ashraf. »Außerdem glaube ich nicht, daß es gesund für Sie ist, wenn Ihre erste derartige Beziehung auf einer Vergangenheit basiert, die für niemand außer Ihnen existiert. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich mit einer völlig Fremden eingelassen, als sich noch mehr an eine Täuschung zu binden.«
    »Niemand wird getäuscht«, sagte Steward. »Niemand ist unglücklich.«
    Ashrafs Stimme war brutal. »Wir können diese Frau doch nicht im Glauben lassen, daß Sie das Original sind, nicht wahr?«
     

2
    Die Türme der Stadt stießen schmelzflüssig in einen
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