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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn.
Autoren: Stanislaw Lem
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Staat, dessen Bürger ich bin. Eingesponnen in ein Netz von Abhörgeräten sollten wir den Kontakt zu einer das Universum bewohnenden Intelligenz herstellen. In Wahrheit war dies der Einsatz in einem global ausgetragenen Spiel, gehörte zu seiner Poule. Unter den unzähligen Kryptonymen, die die Betoneingeweide des Pentagon bis zum Rand füllen, erschien in irgendeiner Schatzkammer, auf irgendeinem Regal, in irgendeinem Ordner mit dem Vermerk »geheim« auf dem Deckel noch ein Abkürzungszeichen mehr: das der Operation »Master’s Voice« – jenes bereits im Keim vom Wahnsinn gezeichneten Versuchs, etwas zu verbergen und einzusperren, was seit Jahrmillionen die Weiten des Alls erfüllt, um, wie die Kerne aus der Zitrone, eine Information von todbringendem Inhalt daraus herauszupressen.
    Wenn das kein Irrsinn war, dann hatte es ihn nie gegeben. Folglich hatte der Absender bestimmte Wesen gemeint, aber nicht alle, nicht einmal alle aus dem technologischen Kreis. Was für Zivilisationen waren die eigentlichen Empfänger? Ich weiß es nicht. Ich sage nur soviel: Wenn uns diese Information im Sinne der Absender nicht zusteht, dann werden wir sie nicht begreifen. Ich setze großes Vertrauen in SIE, weil SIE es nicht enttäuscht haben.
    Doch kann nicht alles auch nur eine Folge von Zufällen gewesen sein? Gewiß. War nicht der »Sternencode« selbst durch Zufall entdeckt worden? Hatte er wiederum nicht rein zufällig entstehen können? Erschwerte er vielleicht nur zufällig den Zerfall großer organischer Teilchen, wiederholte sich zufällig, und schließlich – war vielleicht nur aufgrund eines Zufalls aus ihm der »Herr der Fliegen« entstanden? All das ist möglich. Der Zufall vermag auch in einer Flutwelle einen Wirbel auszulösen, der den tiefen Abdruck eines nackten Fußes auf dem Sand hinterläßt.
    Der Skeptizismus ist wie die unaufhörlich verstärkte, vielfache Vergrößerung eines Mikroskops: Das zunächst scharfe Bild verschwimmt schließlich, weil man letzte Dinge nicht sehen kann: Ihre Existenz kann man nur noch folgern. Im übrigen geht die Welt nach dem Abschluß des Projekts ihren Weg weiter. Äußerungen von Wissenschaftlern, Politikern und Tageshelden über die kosmische Intelligenz sind aus der Mode gekommen. Der »Froschlaich« läßt sich nutzbar machen, die Staatsmillionen sind also nicht für die Katz, über den veröffentlichten Code kann sich nun die Legion jener Verrückten den Kopf zerbrechen, die vorher das Perpetuum mobile und die Trisektion des Winkels erfunden haben, darüber hinaus darf jeder das glauben, was ihm behagt. Zumal wenn dieser Glaube, wie der meine, keinerlei praktische Konsequenzen nach sich zieht. Denn er hat mich ja nicht zu Staub zermahlen. Ich bin derselbe wie vor meinem Eintritt ins Projekt. Nichts hat sich verändert.
    Ich will meinen Bericht mit einem Wörtchen über dieMänner des Projekts beenden. Ich habe bereits erwähnt, daß mein Freund Donald nicht mehr am Leben ist. Er litt an einer Fluktuation des Zellteilungsprozesses: an Krebs. Yvor Baloyne ist nicht nur Professor und Rektor, sondern auch ein derart mit Arbeit überhäufter Mann, daß er nicht einmal weiß, wie glücklich er dran ist. Über Doktor Rappaport ist mir nichts bekannt. Der Brief, den ich vor mehreren Jahren an das Institute for Advanced Study gerichtet habe, kam zurück. Dill lebt in Kanada – beide haben wir keine Zeit für einen Briefwechsel.
    Aber was bedeuten diese Bemerkungen eigentlich? Was weiß ich von den geheimen Ängsten, Gedanken und Hoffnungen derer, die mir in dem beschriebenen Zeitraum Weggefährten waren? Ich habe niemals die Distanz zu einem anderen Menschen zu überwinden vermocht. Das Tier ist festgebunden an sein Hier und Heute, mit all seinen Sinnen, der Mensch aber kann sich losreißen, erinnern, mit anderen fühlen, sich deren Gemütsverfassung, deren Empfindungen vorstellen – was, zum Glück, nicht stimmt. Bei derlei Versuchen, uns in andere hineinzuversetzen, in ihre Haut zu schlüpfen, gewinnen wir nur ein nebelhaftes, verschwommenes Bild von uns selbst. Was würde mit uns geschehen, wenn wir wirklich mit anderen Mitleid zu haben, mit ihnen zu fühlen, an ihrer Statt zu leiden vermöchten? Daß sich die menschlichen Schmerzen, Ängste, Leiden mit dem Tod des einzelnen auflösen, daß nichts bleibt von jenen Höhenflügen, Niederlagen, Orgasmen und Torturen, ist ein rühmenswertes Geschenk der Evolution, die uns den Tieren ähnlich gemacht hat. Wenn jeder
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