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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn.
Autoren: Stanislaw Lem
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daß wir einen »Brief« erhalten hatten! Es lag mir sehr viel daran, dem geneigten Leser diesen meinen Glauben zu vermitteln, ja nicht so sehr ihn selbst als vielmehr die hinter ihm stehenden Motive. Falls mir das nicht gelungen sein sollte, hätte ich dieses Buch nicht zu schreiben brauchen; denn dies war sein ausgemachtes Ziel. Ein Mensch, der sich wie ich sehr lange, viele Male an wechselnden Fronten der Wissenschaft damit herumgeplagt hat, die »Chiffren der Natur« zu entschlüsseln, weiß wahrhaftig mehr über sie als seine mathematischen Publikationen darüber enthalten.
    Gestützt auf dieses nicht zu vermittelnde Wissen behaupte ich, daß sich der »Froschlaich«, mit seinen Ressourcen an Kernenergie, mit dem »Trex«-Effekt, unter unserenHänden in eine Waffe verwandeln mußte, weil wir so sehr, so heftig danach strebten. Daß wir kein Glück damit hatten, kann kein Zufall sein. Es ist ja in anderen Situationen, jenen »natürlichen«, schon allzu viele Male gelungen. Ich kann mir sehr gut jene Wesen vorstellen, die das Signal gesendet haben. Sie sagten sich: Wir machen es unentschlüsselbar für alle, die noch nicht bereit sind. Wir müssen in unserer Vorsicht noch weiter gehen: Selbst durch eine falsche Entschlüsselung dürfen sie nichts von den Dingen in die Finger bekommen, nach denen sie suchen und die wir ihnen abschlagen müssen.
    Die Atome und Galaxien, die Planeten und unsere Körper wurden von niemandem durch ein ähnliches Sicherheitssystem geschützt, darum werden wir auch alle düsteren Konsequenzen eines solchen Nichtvorhandenseins tragen müssen. Die Wissenschaft ist der Teil der Kultur, die zur Welt in Beziehung tritt. Wir polken uns Bröckchen aus ihr heraus und verschlingen sie – nicht in der Reihenfolge, die uns am besten bekäme, denn niemand hat das wohlmeinend vorbereitet, sondern in einer Reihenfolge, die nur durch den Widerstand reguliert wird, die die Materie leistet. Die Atome und die Sterne haben keinerlei Beweggründe, sie können sich uns nicht widersetzen, wenn wir Modelle nach ihrem Bilde ersinnen, werden sie uns den Zugang zum Wissen nicht verwehren, das vielleicht schädlich, ja mörderisch ist. Was immer außerhalb des Menschen bestehen mag, es ist wie ein Toter, der keinerlei Motive haben kann. In dem Moment jedoch, da nicht die Kräfte der NATUR, sondern Kräfte der VERNUNFT eine Botschaft an uns richten, wandelt sich die Situation grundlegend. Derjenige, der einen »Brief« absandte, hat sich bestimmt von Motiven leiten lassen, die dem Leben nicht gleichgültig gegenüberstehen.
    Von Anfang an hatte ich die größte Angst vor einem Mißverständnis. Ich war sicher, daß man uns kein Mordwerkzeug gesandt hatte, alles deutete jedoch darauf hin, daß wir die Beschreibung eines Werkzeugs bekommen hatten – und es ist ja bekannt, wie wir das zu gebrauchen verstehen. Werkzeug ist sogar ein Mensch für den anderen. Da ich die Geschichte der Wissenschaft kannte, konnte ich mir eine vollkommene Absicherung gegen Mißbrauch nicht vorstellen. Jede Technik ist ja völlig neutral, und wir hätten es fertiggebracht, jeder als Zweck den Tod zuzuschreiben. Während jener unseriösen, aber verzweifelten Konspiration, die gewiß töricht und dennoch aufgrund eines Instinkts notwendig gewesen war, hatte ich geglaubt, auf SIE brauchten wir nicht mehr zu zählen, weil sie vermutlich nicht vorausgesehen hatten, was wir fälschlicher- weise mit der Information beginnen würden. Eine Absicherung dessen, was intentional geplant worden war, hielt ich für real, nicht aber dessen, was durch einen Fehler von uns entstünde, dadurch, daß wir die Lücken falsch ausfüllten. Selbst die Natur, die die biologische Evolution über vier Milliarden Jahre hinweg gelehrt hat, »Fehler« zu vermeiden und unter den Siegeln aller erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen vorzugehen, hat ja nicht sämtliche »Entgleisungen« des Lebens, seine Verzerrungen, Sackgassen, Irrtümer, »Mißverständnisse« ausschließen können – wofür die zahllosen Entartungen in der Entwicklung der Organismen, der Krebs beispielsweise, ein Beweis sind. Doch SIE hatten das ihre getan und die für uns unerreichbare Perfektion biologischer Lösungen weit hinter sich gelassen. Ich wußte jedoch nicht – woher sollte ich auch –, daß jene Lösungen, funktionstüchtiger als die biologischen, derart allseitig gesichert, derart gegen das Eindringen Unberufener gefeit waren.
    In jener Nacht in der großen Inversorhalle, über den
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