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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn.
Autoren: Stanislaw Lem
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brudermörderischen Kämpfen, versuchen seit Jahrtausenden den Code zu entschlüsseln und versuchen es immer wieder aufs neue, ebenso stümperhaft wie wir; ebenso wie wir versuchen sie die seltsamen Bruchstücke, die solche Mühsal erbringt, zur Waffe umzumodeln – und ebenso wie uns gelingt es ihnen nicht. Wann hatte sich die Gewißheit in mir festgesetzt, daß es so sein mußte? Ich kann es schwer sagen.
    Nur den mir am nächsten Stehenden, Yvor, Donald vertraute ich mich an, und bevor ich endgültig aus der Siedlung abreiste, machte ich noch den bissigen Doktor Rappaport zum Teilhaber an diesem meinem Privatbesitz. Sie alle, das ist das Erstaunliche, bekundeten mir zunächst mit wachsender Genugtuung ihr Verständnis, aber dann, nach kurzer Besinnung, sagten sie, gemessen an der Welt, die uns gegeben sei, entstünde aus meinen Vermutungen ein allzu schönes Ganzes. Mag sein. Was wissen wir über Zivilisationen, die »besser« sind als die unsere? Nichts. Vielleicht ziemt es sich also auch nicht, ein Panorama zu entwerfen, auf welchem wir irgendwo unterhalb des Rahmens als Schandfleck der Galaxis auftreten oder als ein in den sich über Jahrhunderte hinziehenden Geburtswehen steckengebliebener Embryo oder schließlich, um einen Vergleich von Rappaport zu gebrauchen, als bei der Entbindung durchaus wohlgestaltetes Neugeborenes, das drauf und dran ist, sich mit der eigenen Nabelschnur zu erdrosseln. Mit jener Nabelschnur, die einen Ausläufer der Kultur darstellt und die Lebenssäfte des Wissens aus dem Mutterkuchen der Natur zieht.
    Ich vermag keinerlei unschlagbare Beweise zugunsten meiner Überzeugung vorzubringen. Ich habe sie nicht. Ich kann im »Sternencode«, in seiner Information auf nichts hinweisen, was belegen würde, daß er für Wesen bestimmt war, die in irgendeiner Weise besser sind als wir. Vielleicht habe ich mir nur, lange genug von Demütigungen gepeinigt, gegen meinen Willen unter dem Kommando der Easterlands und Eeneys marschierend, nach dem Muster und dem Bilde meiner eigenen Wunschträume die mir einzig verfügbare Entsprechung von Heiligkeit erdichtet: den Mythos von VERHEISSUNG und OFFENBARUNG, den ich, der Mitschuldige, aus Unwissenheit ebenso wie aus bösem Willen verworfen hatte?
    Wenn dem Menschen nicht mehr daran gelegen sein wird, Atome und Planeten zu bewegen, wird die Welt ihm gegenüber sehr wehrlos sein, weil der Mensch sie sich dann so ausdeuten kann, wie es ihm beliebt. Wer die Phantasie als Schwert benutzt, wird durch das Schwert umkommen. Und dabei geht es doch darum, daß die Phantasie zum Fenster wird, das sich auftut in die Welt. Zwei Jahre lang hatten wir eine Sache von ihrem Ende her untersucht, in Gestalt von auf die Erde herabströmenden fertigen Ergebnissen. Ich schlage eine entgegengesetzte Überlegung vor. Dürfen wir, ohne in Wahnsinn zu verfallen, annehmen, man habe uns ein Rätsel, eine Art Intelligenztest, eine aus der Galaxis stammende Scharade geschickt? Einen solchen Gesichtspunkt halte ich für absurd: Die Schwierigkeit des Textes war keine Schale, die wir durchstoßen mußten. Die Botschaft war nicht für alle bestimmt: So sehe ich den Fall, und ich kann nicht anders. Als erstes: Er war nicht für Zivilisationen gedacht, die weit unten auf der Stufenleiter eines rein instrumentalen Fortschritts stehen, denn es ist doch klar, daß die Sumerer oder die Karolinger nicht einmal fähig gewesen wären, das Signal zu entdecken. War es jedoch nur das Kriterium rein technischer Leistungsfähigkeit, das den Empfängerkreis begrenzte? Blicken wir über uns hinaus! Eingeschlossen in den fensterlosen Raum der ehemaligen Atomtestanlage mußte ich unaufhörlich daran denken, daß die große Wüste jenseits der Mauern mitsamt dem sich über sie breitenden dunklen Gewölbe – und weiter –, die ganze Erde unablässig, Stunde um Stunde, Jahrhundert um Jahrhundert und Zeitalter um Zeitalter von einem uferlosen Strom aus unsichtbaren Teilchen durchbohrt wurde, dessen Fluten eine Nachricht mit sich führten, die ebenso auch auf anderen Planeten des Sonnensystems, auf anderen derartigen Systemen, in anderen Galaxien eintreffen konnte, daß dieser Strom ausgesandt worden war vor unbekannter Zeit, aus den unbekannten Abgründen des Alls – und daß dies wirklich so war.
    Ich nahm dieses Wissen nicht widerstandslos hin – es widersprach viel zu sehr allem, was ich gewohnt war. Ich sah gleichzeitig unser Unternehmen, die Scharen von Wissenschaftlern, diskret beaufsichtigt von dem
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