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Die stillen Wasser des Todes - Roman

Die stillen Wasser des Todes - Roman

Titel: Die stillen Wasser des Todes - Roman
Autoren: Deborah Crombie
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beschützen. Kincaid konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Kieran, der schon so viel verloren hatte, auch noch ihn verlieren sollte.
    Er ging zum Tisch und zog die Pistole darunter hervor. Dann kniete er sich, ohne Ross und seine beiden Bewacher aus den Augen zu lassen, zu Tavie und Kieran.
    Tavie hatte aus Kierans Pulli einen Druckverband gemacht, und die ockerfarbene Wolle war schon blutgetränkt. Aber sie behandelte die Schulter des Hundes, nicht seinen Kopf oder seine Brust.
    »Ist er –«
    Tavie blickte auf und strich sich mit ihrer freien Hand die Haare aus der Stirn, wobei ein roter Schmierfleck zurückblieb. »Es sieht zwar schlimm aus, und ich bin es eher gewohnt, Menschen zu behandeln, aber ich glaube, es ist nur eine Fleischwunde. Ich kann das Einschussloch und die Austrittswunde an der Schulter sehen, und die Kugel hat offenbar Knochen und innere Organe verfehlt.«
    »Guter Junge«, flüsterte Kieran, und Finn klopfte mit dem Schwanz auf den Boden. Kierans Stimme zitterte immer noch, nicht aber seine Hände, und er assistierte Tavie mit ruhigen, sicheren Bewegungen.
    »Es ist alles gut«, sagte Kieran mit festerer Stimme, als wollte er sich selbst beruhigen. Aber es war Tavie, der er dabei in die Augen sah. »Alles wird gut.«

25
    Was gibt es Faszinierenderes auf der Welt als fließendes Wasser und die Möglichkeit, sich darauf fortzubewegen? Welch besseres Sinnbild der Existenz und des möglichen Triumphs?
    George Santayana, The Lost Pilgrim
    Am Sonntagmittag war Kincaid immer noch in seinem Büro im Yard mit dem Abfassen von Berichten beschäftigt. Doug hatte er irgendwann am Vormittag in recht bestimmtem Ton nach Hause geschickt. Der Sergeant hatte sich im Büro herumgedrückt, sich künstlich Beschäftigungen ausgedacht und dabei von Minute zu Minute nervöser und missmutiger gewirkt.
    »Gehen Sie«, hatte Kincaid schließlich gesagt. »Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Umzugskisten ausgepackt kriegen.«
    »Aber Sie brauchen mich doch noch, um das da Korrektur zu lesen«, hatte Doug protestiert und auf den Computerbildschirm gedeutet.
    »Danke, aber ich bin durchaus in der Lage, ohne fremde Hilfe einen fehlerfreien Bericht abzufassen.« Kincaid wusste genau, wie Doug sich fühlte, aber es wurde nicht besser dadurch, dass er es vor sich herschob.
    »Wir gehen nächstes Wochenende mal einen trinken«, sagte er. »Und sobald Sie sich ein bisschen eingelebt haben, kommen wir zum Essen vorbei – natürlich nur, wenn Sie so mutig sind, uns einzuladen.«
    »Ja, klar«, sagte Doug. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und spielte mit seinen Schlüsseln herum. »Ich werde mal ein bisschen recherchieren, welche Restaurants in Putney ins Haus liefern.«
    »Dann sind Sie ja beschäftigt, falls Ihr neuer Chef Ihnen nicht genug zu tun gibt.«
    Doug quittierte den Scherz mit einem müden Lächeln.
    Der Moment dehnte sich endlos, in dem verlegenen Schweigen zweier Männer, die einfach nicht die richtigen Abschiedsworte fanden.
    »Ich komme ja wieder«, sagte Kincaid schließlich. Und dann: »Sie werden das schon schaukeln.«
    »Sicher.« Doug nickte und schob seine Brille hoch. »Danke. Also, man sieht sich.« Er zog den Kopf ein und schlüpfte zur Tür hinaus.
    Cullens Abgang konfrontierte Kincaid erst so richtig mit der Realität. Er würde zwei Monate weg sein; es sei denn, sie würden beschließen, dass sie Charlotte schon früher in die Kinderbetreuung schicken könnten. Sein Leben würde sich auf eine Weise verändern, die er sich noch nicht so recht vorstellen konnte, und er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte.
    Er saß eine Weile untätig herum, betrachtete die vertrauten Wände seines Büros und dachte darüber nach, wie viele Jahre er sich nun schon über die Arbeit definierte. Er fragte sich, was ohne den Job überhaupt von ihm übrig bliebe.
    Und dann dachte er über die Geschehnisse des gestrigen Nachmittags und Abends nach und darüber, wie knapp sie alle einer Tragödie entgangen waren.
    Er hatte fast die halbe Samstagnacht damit zugebracht, Ross Abbott im Präsidium der Thames Valley Police zu vernehmen.
    Nachdem sie ihn überwältigt und in die Arrestzelle gebracht hatten, war Abbott ganz still geworden und hatte sich geweigert, auch nur ein Wort ohne seinen Anwalt zu sagen.
    Als Kincaid Abbott im Gewahrsamstrakt beobachtete, konnte er deutlich sehen, wie eine Maske sich über sein Gesicht legte. Die ganze Verzweiflung des Mannes und seine abgrundtiefe Boshaftigkeit, all das
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