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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Autoren: Charlotte Link
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Dorf über die Art, wie sie sich das Geld für ihre Kleider beschaffte, aber das war Lettice ganz gleich. Mit achtzehn heiratete sie Ambrose Askew, und damit war ihre Blüte vorüber.
    Mary konnte sich gar nicht mehr vorstellen, daß ihre Mutter einmal jung und schön gewesen sein sollte. Sie kannte sie nur als magere, ältliche Person mit ungewaschenen Haaren, sommers wie winters in einem Kleid aus dunkelgrauem Leinen, eine Frau mit einem Gesicht wie ein alte räudige Katze, scharf, hungrig und lauernd. Solange sie denken konnte, warb Mary um einen Hauch von Zuneigung in ihrer Mutter, meist jedoch ohne Erfolg, weshalb sie diese Augenblicke der Zweisamkeit in der Küche für gewöhnlich liebte. Lettice war dann ganz sanftmütig, summte leise vor sich hin oder erzählte von der Zeit, als sie ein kleines Mädchen gewesen war und davon geträumt hatte, einen schönen, wohlhabenden Mann zu heiraten und sehr glücklich zu werden.
    »Und wo bin ich gelandet? Im Armenhaus von Shadow’s Eyes«,
sagte sie bitter lächelnd. »Sieh nur zu, Mary, daß du es geschickter anfängst als ich.«
    Mary nickte und schrak zusammen, als sich die Tür öffnete. Aber es war nur einer der Armen, ein alter, zahnloser Mann, und Lettice warf sogleich einen Teller nach ihm, so daß er sich erschrocken zurückzog.
    »Hau ab, du elender Lump!« schrie sie. »Du hast hier nichts zu suchen!« Niemand, der nicht zu ihrer Familie gehörte, durfte die Küche je betreten, jedenfalls nicht, solange Lettice im Haus war.
    »Ich brauche einen Ort, wo diese verdammten Ratten nicht hinkommen«, erklärte sie immer, »die Küche und mein Schlafzimmer! «
    Mary hätte manchmal gern gefragt, warum Lettice Ambrose geheiratet hatte, wenn er ihr doch ein so schlechtes Leben bot. Aber natürlich fragte sie nie, denn instinktiv ahnte sie, daß gerade diese Frage bei Lettice einen Zornausbruch hervorrufen würde. Heute war sie ohnehin so sehr in ihren eigenen Kummer versunken, daß sie gar nicht fragen wollte. Sie blickte auf die Tischplatte, aber vor ihren Augen entstand das Bild der Obstbäume von Marmalon. Frederic!
    Lettice beobachtete sie scharf. »Schmachte nicht so vor dich hin«, sagte sie, »kein Kerl ist es wert. Und Belville wird jetzt was Besseres. In ein paar Jahren kennt der dich schon nicht mehr. Aber für dich wird es auch Zeit, daß du dich an den Ernst des Lebens gewöhnst. Die Kindheit ist vorbei!«
    Mary nickte. Antworten konnte sie nicht, sonst wäre sie in Tränen ausgebrochen.
    Vom Gang her ertönte das Stampfen lauter Schritte, Türen wurden zugeschlagen, eine brüllende Stimme verschaffte sich in unverständlichen Lauten Gehör. Mary wurde blaß und kauerte sich unwillkürlich tief unter den Tisch. Sie wußte, was das bedeutete. Edward, ihr großer Bruder, kam vom Wirtshaus Oakwood House zurück, hungrig, betrunken und streitsüchtig. Lettice bekam glänzende Augen, erhob sich und bewegte sich mit einer Geschmeidigkeit durch die Küche, die sonst niemand mehr an ihr sah. Sie liebte Edward ebensowenig wie ihre anderen Kinder, aber er war ein junger
Mann, und in seiner Gegenwart bekam sie unwillkürlich etwas von jener lebenslustigen Unbekümmertheit zurück, die sie wohl als junges Mädchen besessen haben mußte und die von den Klatschweibern in Shadow’s Eyes noch heute als ›schamlos und abstoßend‹ bezeichnet wurde. Mary konnte sich darunter nichts Genaues vorstellen, aber ihre Mutter wurde jedenfalls immer sehr heiter, wenn Edward kam und gleichzeitig äußerst bissig zu ihrer Tochter. »Sitz nicht da wie ein Huhn, wenn es den Fuchs sieht«, sagte sie kühl, »deine ewig angstvollen Augen machen mich noch ganz verrückt!«
    Die Küchentür wurde heftig aufgestoßen, und Edward schwankte herein. Er war siebzehn Jahre alt, sehr groß und kräftig, hatte ein breites, weißes Gesicht mit kleinen Augen und einem wulstigen Mund, fettige hellbraune Haare und grobe Hände. Er sah ebenso dumm wie brutal aus und ähnelte seinem Vater stark.
    Edward warf seine Holzschuhe in eine Ecke, schöpfte mit beiden Händen Wasser aus dem hölzernen Waschfaß neben der Tür, schüttete es sich über das Gesicht und umarmte Lettice dann so heftig, daß sie leicht aufschrie.
    »Nicht so stürmisch, Edward«, rief sie lachend, »o mein Gott, du hast wieder getrunken! Versuch bitte, dich nachher nicht mit deinem Vater zu streiten.«
    Ambrose und Edward hatten einander für gewöhnlich gar nichts zu sagen, aber wenn sie betrunken waren, gingen sie wie zwei
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