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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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Geschichten, welche Schulden mag er sich eingelassen haben, was hat er Furchtbares angerichtet, dass man ihn dergestalt aufschlitzt. Ich lasse mich auf nichts ein, schaffe mir keine Feinde, halte mich fein raus. Oder halte mich nicht raus, richte auch mein Teil an, doch erwischt hat man mich nicht. Zum Glück ist es ein anderer, nicht ich bin der Tote, den man uns hier zeigt und über den man spricht, also kann ich mich heute sicherer fühlen als gestern, gestern bin ich entkommen. Den armen Teufel hat’s erwischt.‹ Nicht einen Augenblick kam mir der Gedanke, diese überblätterte Nachricht mit dem angenehmen, lächelnden Mann in Verbindung zu bringen, den ich täglich frühstücken sah, und der, ohne es zu wissen, mit seiner Frau die unendliche Freundlichkeit besessen hatte, mich zuversichtlich zu stimmen.

Ein paar Tage lang rechnete ich, nach Rückkehr von meiner Reise, noch immer mit dem Ehepaar, obwohl ich wusste, dass es nicht kommen würde. Nun traf ich jeden Morgen pünktlich im Verlag ein (ich verdrückte mein Frühstück und Schluss, es gab keinen Anlass zum Bummeln), doch etwas trübsinnig und vor allem unlustig, es ist erstaunlich, wie schlecht unser Alltag Veränderung verträgt und sei sie zum Guten, diese war es nicht. Es kostete mich mehr Überwindung, meine Arbeit anzugehen, zuzusehen, wie mein Chef sich aufblies, und die nervtötenden Anrufe oder Besuche der Schriftsteller zu empfangen, was aus unerfindlichem Grund an mir hängengeblieben war, vielleicht, weil ich ihnen vergleichsweise mehr Beachtung schenkte als meine Kollegen, die ihnen bewusst aus dem Weg gingen, vor allem den besonders eingebildeten, fordernden, aber auch den besonders lästigen, hilflosen, denen, die allein lebten, den kaputten Typen, die einen aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz anmachten, denen, die unsere Nummer wählten, damit ihr Tag anfing und jemand wusste, dass es sie noch gab, egal, unter welchem Vorwand. Es sind seltsame Leute, zum Großteil. Sie stehen auf, wie sie zu Bett gegangen sind, immer in Gedanken bei ihren Kopfgeburten, die sie rund um die Uhr beschäftigen. Die von der Literatur und ihren Grenzgebieten leben und somit keiner festen Arbeit nachgehen – das sind inzwischen einige, in dem Geschäft steckt Geld, sosehr man auch das Gegenteil behauptet, vor allem für Verleger und Händler –, sie verlassen nicht ihre Wohnung, müssen sich nur wieder an den Computer oder die Schreibmaschine setzen – manch Kauz benutzt noch Letztere, und die Texte müssen nach Abgabe eingescannt werden –, mit unbegreiflicher Selbstdisziplin: Etwas Überspanntheit gehört wohl dazu, wenn man sich an eine Arbeit macht, ohne dass sie einem aufgetragen wurde. Ich hatte nun also weit weniger Lust und Geduld, fast täglich einem Schriftsteller beim Ankleiden zu assistieren, Cortezo hieß er und rief mich unter einem unsinnigen Vorwand an, um zu fragen, »da ich dich schon mal an der Strippe habe«, ob meiner Ansicht nach Kluft oder Klamotten, in denen er ging oder gehen wollte und die er mir beschrieb, zueinander passten.
    »Glaubst du, zu Nadelstreifenhose und braunen Mokassins mit Troddeln, du weißt schon, als Verzierung, passen da Rautensocken?«
    »Welche Farbe haben die Rauten?«, fragte ich.
    »Braun und orange. Aber ich habe auch rot-blaue und grün-beige, was meinst du?«
    »Besser die blau-braunen, die du anhast«, antwortete ich.
    »Die Kombination habe ich nicht. Soll ich welche kaufen gehen?«
    Ich hatte ein Fünkchen Mitleid, obwohl es mich maßlos ärgerte, dass er mir mit solchen Fragen kam, als wäre ich seine künftige Witwe oder seine Mutter, und dass dieser Mensch sich so viel auf seine Texte einbildete, die von der Kritik gelobt wurden, mir jedoch dümmlich erschienen. Aber ich wollte ihn nicht losschicken, damit er sich in der Stadt noch mehr abartige Socken kaufte, die ihm auch nicht weiterhelfen würden.
    »Nein, ist nicht nötig, Cortezo. Warum schneidest du aus den einen nicht die blauen, aus den anderen die braunen Rauten heraus und setzt sie zusammen? Mach ein
Patchwork,
wie es auf Neuspanisch heißt. Ein Kunstflickwerk.«
    Es dauerte, bis er merkte, dass es ein Scherz war.
    »Aber so was kann ich doch nicht, María, ich kann mir ja nicht mal einen Knopf annähen, und meine Verabredung ist in anderthalb Stunden. Ach so. Du nimmst mich auf den Arm.«
    »Ich? Niemals. Aber besser, du ziehst einfarbige an. Marineblaue, wenn du die hast, und in dem Fall rate ich dir zu schwarzen Schuhen.« Am Ende
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