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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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anfangs in der Zeitung nicht erkannt hatte, denn da war er ohne Luisa zu sehen gewesen). Doch sofort interessierten sie mich beide, sofern dies das treffende Verb ist.
    Desvern hatte kurzes Haar, dicht und dunkel, nur an den Schläfen grau, wo es auch krauser zu werden schien (hätte er sich Koteletten wachsen lassen, wären ihnen womöglich überraschende Löckchen entsprossen). Sein Blick war lebendig, ausgeglichen und fröhlich, beim Zuhören mit einem Schimmer Naivität und Kindlichkeit, der Blick eines Menschen, den das Leben im Allgemeinen vergnügt oder der es nicht durchleben will, ohne seine abertausend heiteren Seiten zu genießen, selbst inmitten von Mühsal und Unglück. Wovon er allerdings weniger erlitten haben mochte, als ein Menschenschicksal gewöhnlich aufweist, was ihm wohl half, sich diese vertrauensvollen, lächelnden Augen zu bewahren. Sie waren grau und schienen alles zu bemerken, als wäre alles für sie neu, selbst das, was sich vor ihnen tagtäglich an Belanglosem wiederholte, dieses Café im oberen Teil von Príncipe de Vergara mit seinen Kellnern, mein stummes Gesicht. Er hatte ein Grübchen am Kinn. Dabei kam mir eine Filmszene in den Sinn, in der eine Schauspielerin Robert Mitchum oder Cary Grant oder Kirk Douglas, ich weiß nicht mehr, fragt, wie er sich dort bloß rasiere, und ihren Zeigefinger in die Kerbe legt. Ich hatte jeden Morgen nicht übel Lust, vom Tisch aufzustehen, zu Devernes zu gehen, ihm dieselbe Frage zu stellen und mit Daumen oder Zeigefinger seines zu berühren, ganz leicht. Er war immer makellos rasiert, Grübchen eingeschlossen.
    Die beiden achteten weit weniger, unendlich weniger auf mich als ich auf sie. Sie bestellten ihr Frühstück an der Theke und trugen es selbst zum Tisch am Fenster, während ich weiter hinten saß. Im Frühling und im Sommer setzten wir uns alle nach draußen, und die Kellner reichten uns die Bestellungen durch ein offenes Fenster auf Höhe des Tresens, was zu häufigerem Hin und Her, zu häufigerem Augenkontakt führte, zu mehr kam es zwischen uns nie. Sowohl Desvern als auch Luisa tauschten hier und da einen Blick mit mir, aus reiner Neugier, ohne jede Absicht, niemals lang. Er sah mich nie schmeichelnd, verführerisch oder selbstgefällig an, das hätte mich enttäuscht, und auch sie zeigte mir keinerlei Argwohn, Überlegenheit oder Missfallen, das hätte mich geärgert. Die beiden gefielen mir, beide zusammen. Ich beobachtete sie nicht mit Neid, ganz und gar nicht, sondern mit der Erleichterung, dass es im wirklichen Leben tatsächlich so etwas geben kann, ein in meinen Augen perfektes Paar. Ein solches waren sie für mich noch mehr, weil Luisas Aussehen nicht mit Devernes harmonierte, was Stil und Kleidung anging. Neben einem Mann in solchem Anzug hätte man eine Frau von ähnlicher Erscheinung erwartet, klassisch und elegant, wenn auch nicht berechenbar, meist in Rock und hochhackigen Schuhen, in Kleidern von Céline zum Beispiel, mit Ohrringen und Armbändern, auffallend, aber geschmackvoll. Sie jedoch wechselte zwischen einem sportlichen Stil und einem, sagen wir, saloppen, lässigen, jedenfalls keineswegs aufgeputzten. Etwa gleich groß wie er, hatte sie eine leicht getönte Haut und eine braune Mähne, sehr dunkel, fast schwarz, und schminkte sich kaum. Wenn sie Hosen trug – oft Jeans –, zog sie dazu eine gewöhnliche Windjacke und Stiefel oder flache Schuhe an; trug sie Röcke, dann waren die Schuhe halbhoch und ohne Firlefanz, fast wie die der Frauen in den fünfziger Jahren, im Sommer dann feine Sandalen, die den Blick auf für ihre Statur kleine, zarte Füße freigaben. Niemals sah ich Schmuck an ihr, und ihre Taschen hatten immer Schulterriemen. Sie sah ebenso sympathisch und fröhlich aus wie er, und wenn ihr Lachen nicht ganz so klangvoll war, kam es doch nicht weniger prompt und womöglich noch herzlicher, mit ihren blitzenden Zähnen, die ihr einen fast kindlichen Ausdruck verliehen – bestimmt lachte sie seit ihrem vierten Lebensjahr nicht anders, immer spontan –, vielleicht waren es auch die Wangen, die runden Bäckchen. Als gönnten sich die beiden Tag für Tag zusammen diese Atempause, bevor jeder sich zu seiner Arbeit aufmachte, nach der morgendlichen Hetzerei einer Familie mit kleinen Kindern. Einen Moment für sich allein, damit sie sich nicht inmitten all des Durcheinanders trennen mussten und noch angeregt plaudern konnten, und ich fragte mich, worüber sie sprachen, was sie sich erzählten – wie es
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