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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten
Autoren: Javier Marías
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unkonventionell und transmodern, war aber im Grunde wie Zola und so manch anderer: Er tat sein Äußerstes, um zu erleben, was er sich ausdachte, weshalb in seinen Büchern alles künstlich und bemüht klang.
    Als ich auflegte, war ich verblüfft, dass ich Garay Fontina etwas abgeschlagen hatte, auch noch ohne Rückendeckung meines Chefs, auf eigene Faust. Schuld daran war, dass meine Laune litt, meine Lustlosigkeit zunahm, die Freude beim Frühstück ausblieb ohne das perfekte Paar, das nicht mehr da war, um mich mit seinem Optimismus anzustecken. Zumindest ein Vorteil dieses Verlusts: Schwäche, Anmaßung und Dummheit tolerierte ich nun weniger.

Das war der einzige Vorteil, und der lohnte nicht. Die Kellner hatten sich geirrt, und als sie es merkten, unterrichteten sie mich nicht davon. Desvern würde nie mehr zurückkehren und somit auch nicht das heitere Paar, das als solches ebenfalls aus der Welt geschafft worden war. Meine Kollegin Beatriz, die sporadisch in dem Café frühstückte und die ich auf das Besondere an dem Ehepaar aufmerksam gemacht hatte, erwähnte eines Morgens das Geschehene, zweifellos im Glauben, dass ich Bescheid wusste, es gleich danach erfahren hatte, also aus den Zeitungen oder von den Angestellten des Lokals, ja dass wir schon darüber gesprochen hatten, wobei sie vergaß, dass ich damals auf Reisen gewesen war, gleich nach dem Vorfall. Wir tranken nur kurz einen Kaffee draußen, als sie ernst wurde, mechanisch mit dem Löffel in dem ihren rührte und mit einem Blick auf die allesamt besetzten Tische murmelte:
    »Wie entsetzlich, dass einem so was passiert, also wirklich, das mit deinem Ehepaar. Da fängt sein Tag wie jeder andere an, und du hast nicht die geringste Ahnung, dass heute dein Leben zu Ende geht, und so brutal dazu. Denn auf seine Art wird auch das ihre zu Ende sein. Für lange Zeit zumindest, Jahre sogar, und ich bezweifle, dass sie je darüber hinwegkommt. Was für ein sinnloser Tod, so ein schreckliches Unglück, das kriegt man doch sein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf: Weshalb musste es ihn treffen, weshalb mich, wo doch Millionen in dieser Stadt leben? Ich weiß nicht. Nimm mal Saverio, den ich zwar nicht mehr so liebe, aber wenn ihm so etwas zustoßen würde, ich glaube nicht, dass ich einfach nach vorn schauen könnte. Es ist nicht nur der Verlust, ich würde mich wie gebrandmarkt fühlen, als hätte es jemand auf mich abgesehen und wäre nicht aufzuhalten, weißt du, was ich meine?« Sie war mit einem großspurigen Italiener verheiratet, einem Schmarotzer, den sie kaum mehr ertrug, sie hielt bloß der Kinder wegen aus und weil sie einen Liebhaber hatte, der ihr die Tage mit seinen lüsternen Anrufen versüßte und mit der Aussicht auf sporadische Treffen, zu denen sie wenig Gelegenheit hatten, beide mit Partner und Kindern. Die nächtlichen Phantasien versüßte ihr ein Autor des Verlags, wohl kaum der dicke Cortezo oder Garay Fontina, widerwärtig von innen wie von außen.
    »Sag mal, wovon redest du?«
    Da erzählte sie es mir oder begann zu erzählen, erstaunt über mein Unwissen, allzu reißerisch und überstürzt, denn es wurde spät, und ihre Stellung im Verlag war weniger sicher als meine, sie wollte kein Risiko eingehen, schon schlimm genug, dass Fontina ihr nicht grün war und sich oft bei Eugeni über sie beklagte.
    »Nicht mal in der Zeitung hast du’s gesehen? Sogar mit Foto, der arme Mann, in Blut gebadet am Boden. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, aber schau im Internet nach, da wirst du sicher fündig. Deverne hieß er, der vom Filmverleih, weißt du: ›Deverne Films präsentiert‹, haben wir tausendmal im Kino gesehen. Sofort wirst du alles finden. Eine grauenvolle Geschichte. Die Haare könnte man sich ausreißen, allesamt, bei so einem entsetzlichen Unglück. Wenn ich seine Frau wäre, ich käme nicht drüber weg. Rein wahnsinnig wird sie sein.« Erst da erfuhr ich seinen Namen oder vielmehr seinen Künstlernamen.
    An dem Abend gab ich »Tod Deverne« in meinen Computer ein, und tatsächlich tauchte die Nachricht auf, im Lokalteil von zwei, drei Madrider Zeitungen. Sein richtiger Nachname war Desvern, doch bestimmt hatte ihn die Familie seinerzeit fürs Geschäft geändert, fürs Publikum, um dem nichtkatalanischen Spanien die Aussprache zu erleichtern und vielleicht zu vermeiden, dass das katalanische ihn mit der Ortschaft Sant Just Desvern in Verbindung brachte, die ich nur kannte, weil dort mehr als ein Barceloner Verlag sein Lager
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