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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition)
Autoren: Oliver Kern
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Boden hoch und gewann aufs Neue seinen Kampf gegen die Schwerkraft. Kurz dachte er darüber nach, wie oft er in den letzten Tagen lieber liegen geblieben wäre, statt seinen Körper erneuten Torturen auszusetzen. Seinen inneren Schweinehund beschwichtigte er damit, dass es jetzt zu Ende war und er sich nur noch ein letztes Mal auf die Beine quälte, um zu seiner Tochter zu kommen, die nach ihm rief. Seine Sinne nahmen nichts mehr wahr, außer dem kläglichen Ton des Säuglings. Alles andere blendete er aus, bis er das Kind in seinen Armen hielt und
    sorgenvoll an sich drückte. Dann übermannte ihn die schmerzvolle Erinnerung des eben Geschehenen: Lea saß in schützender vornüber gebeugter Haltung auf dem Boden und stillte ihre Tochter. Plötzlich stand Kham hinter ihr, riss ihren Kopf nach hinten und schnitt ihr die Kehle durch – Lea war tot!
    Jetzt lag Kwan Kham selbst in seinem Blut, durchsiebt von den Geschossen aus dem Hubschrauber. Franks Blick glitt zurück zu der Frau, die er einst geliebt hatte. Ihre schwarzen Augen waren starr zum Himmel gerichtet. Einem Impuls folgend, schloss er die Lider und strich ihr ein letztes Mal über die Wange. Inzwischen weinte das Kind nicht mehr, schmiegte sich stattdessen an seinen Hals. Er spürte die Tränen, die über sein Gesicht liefen und wandte sich von der Toten ab. Jetzt zählte nur noch, dass er ein neues Leben in seinen Händen hielt. Jemand berührte ihn an der Schulter. Ilka hatte eine olivefarbene Bandage um ihren Kopf gewickelt, auf der sich an einer Stelle dunkle Flecken abzeichneten. Ihr linkes Auge war stark gerötet und unter der Nase hatte sie verkrustetes Blut. Der Tarnanzug wies vereinzelt Löcher auf, teilweise mit blutigen Rändern. Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten. Für einen Moment meinte er taub zu sein und erschrak. Der Schock löste die Blockade und seine Hörfähigkeit setzte wieder ein.
    „...les in Ordnung? Erkennst du mich?“
    Er wich von ihr zurück, kam ins Taumeln und fand Halt an der Hand des Capitaine, der gerade dabei war, sich den Staub aus der Uniform zu klopfen.
    „Wir fliegen dich hier raus“, erklärte Ilka.
    Verwirrt sah er erst zu Xieng, dann zum alten Rha, der immer noch auf dem Boden saß, und schließlich auf das Kind in seinem Arm. Sein Blick wanderte weiter zu dem amerikanischen Soldaten, der Leas leblosen Körper in eine der Zeltplanen wickelte und sich über die Schulter warf.
    „Frank, kannst du mich verstehen?“, fragte die Agentin. Hinter ihrem verbunden Kopf stand die Sonne und verpasste ihr einen Heiligenschein. Irgendwo zwischen ihr und der Abbruchkante des Felsvorsprungs stand Ian und blickte sich nervös um.
    „Wir müssen runter ins Tal, der Hubschrauber kann hier nicht landen“, erklärte sie.
    Er betrachtete für einige Sekunden das Baby, dann sah er wieder zu der Frau mit der Corona.
    Xiengs Hand legte sich um seinen Oberarm. „Gehen wir, bevor noch mehr von Khams Männern hier auftauchen“, drängte der Laote. Mit einem sanften Druck schob er Frank auf die Amerikanerin zu.
    „Kannst du gehen?“, fragte sie.
    Ian drehte sich um und lief entlang des Bergsporns den schmalen Pfad hinunter.
    „Los jetzt“, forderte Ilka.
    Xieng half dem alten Mann auf die Beine. Sie folgten dem CIA-Agenten.
    Wie angewurzelt stand er weiterhin auf dem Plateau. Er hatte das Gefühl, die Macht über seinen Körper verloren zu haben. Sein Verstand hatte zu viel damit zu tun, das Geschehene zu verarbeiten, dass keine elektronischen Nervenimpulse mehr übrig waren, seine Muskeln in Bewegung zu setzten. Da hob das Kind sein zartes, rosafarbenes Händchen und streichelte ihm übers Kinn. Später sagte er sich immer wieder, dass es nur der Reflex eines sechs Wochen alten Säuglings war. Doch in diesem Moment, dort oben in den Bergen des fremden Landes, half ihm die Geste zurück in die Wirklichkeit und rettete ihm das Leben.
     
    Der Helikopter flog einen weiten Bogen über das undurchlässige
    Blätterdach des Regenwaldes. Frank fühlte den kleinen, zerbrechlichen Körper auf seinem Schoß, spürte die minimale Bewegung des Brustkorbs und das gelegentliche Zucken der Arme und Beinchen. Insgeheim fragte er sich, welchen Traum seine Tochter gerade träumte.
    Die Vibrationen des Rotors, zwei Meter über seinem Kopf hingegen, waren so weit entfernt wie seine Heimat. Deutschland hatte er beinahe schon vergessen. Noch vor kurzem glaubte er auf keinen Fall mehr daran, dass er dorthin zurückkehren würde, zumindest nicht
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