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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht verstanden, genau wie
Chris.«
Das klang nicht nur nach einer Ausrede, dachte Mike, es war
eine; und nicht einmal eine besonders originelle. Mike war
sicher, dass sie Trautman erst genau in diesem Augenblick
eingefallen war. Chris hatte den norwegischen Dialekt für
Kauderwelsch gehalten. Das war noch verständlich. Aber die
Stadt, über die sie sprachen, war eine norwegische Stadt.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
    Die NAUTILUS glitt unter einem Himmel aus erstarrtem Weiß
dahin. Singh hatte die Leistung der Motoren so weit gedrosselt,
dass das Schiff praktisch im Schritttempo den Fluss hinauffuhr.
Trotzdem lag auf dem Gesicht des Inders ein Ausdruck
allerhöchster Konzentration.
    Mike beneidete ihn nicht um seine Aufgabe. Dank der hoch
entwickelten Technik der alten Atlanter ließ sich die
NAUTILUS viel leichter navigieren als ein herkömmliches
Schiff, aber der zugefrorene Fluss, unter dessen Oberfläche sie
entlangfuhren, war kaum tief genug, um dem Schiff Platz zu
bieten. Unter dem Kiel war manchmal buchstäblich nur noch
eine Handbreit Wasser und der Turm kollidierte immer wieder
mit dem fast meterdicken Eispanzer, der den Fluss bedeckte.
Wenn das geschah, dann hallten dumpfe Schläge durch den
Schiffsrumpf, fast als hätte sich das ganze Boot in eine
gewaltige Glocke verwandelt, und Mike fuhr jedes Mal
erschrocken zusammen. Er wusste zwar, dass dem Schiff keine
Gefahr drohte. Trotzdem machte ihn das anhaltende
Dröhnen
und Hämmern in zunehmendem Maße nervös. Und
offensichtlich nicht nur ihn. Sie alle waren im Salon
zusammengekommen und sie alle waren schweigsam und sehr
unruhig. Plötzlich veränderte sich das Motorengeräusch: Es
wurde leiser und verstummte schließlich ganz. Die NAUTILUS
zitterte noch einmal, dann ertönte ein fast unheimliches
Knirschen, als das Schiff auf den Flussgrund hinabsank und zur
Ruhe kam.
»Sind wir da?«, fragte Ben überflüssigerweise.
    Singh nickte knapp. »Wenn der Fluss nicht zugefroren wäre,
könntest du erkennen, was in der Hafenkneipe auf der
Speisekarte steht.«
    Ben lachte leise, aber Trautman sagte: »Das ist gar keine
schlechte Idee, Singh – das Periskop.«
Der Inder zögerte einen Moment, in dem er Trautman mehr
als nur zweifelnd anblickte, dann aber zuckte er nur schweigend
mit den Schultern und führte seinen Befehl aus. Es vergingen
nur einige Sekunden, dann ertönte ein dumpfes Krachen, als das
Periskop gegen die Eisdecke über ihnen krachte.
»Noch einmal«, sagte Trautman.
»Aber –«
»Noch einmal, habe ich gesagt!«
Diesmal zögerte Singh spürbar länger, seinen Worten Folge
zu leisten, aber schließlich führte er den Befehl aus. Das dumpfe
Krachen ertönte ein zweites, drittes und viertes Mal, ehe es dem
Periskop endlich gelang, die Eisdecke auf dem Fluss zu
durchstoßen. Auf einem winzigen Bildschirm unmittelbar vor
Singh erschien ein Abbild dessen, was die kleine Kamera oben
am Periskopende auffing; und das nicht nur in Farbe und
dreidimensional, sondern auch noch weitaus detaillierter, als ein
menschliches Auge es gesehen hätte. Nicht zum ersten Mal
empfand Mike einen heftigen Schauer von Ehrfurcht, während
er das Wirken atlantischer Technik betrachtete.
»Das habe ich mir gedacht«, sagte Trautman düster.
»Was?«
Trautman tippte mit dem Zeigefinger auf einen Punkt auf dem
Bildschirm. »Der Wagen da – seht ihr ihn?«
Mike nickte. Der Wagen war deutlich zu erkennen, obwohl er
in einer schmalen Lücke zwischen zwei der einfachen Gebäude
stand. Einem menschlichen Auge
– noch dazu bei der
momentan herrschenden Dunkelheit
– wäre er vermutlich
verborgen geblieben, aber die Restlichtverstärker der Kamera
entrissen der Dämmerung jedes noch so winzige Detail. Es war
ein sehr seltsames Fahrzeug: Ein dunkelgrün gespritzter
Pritschenwagen, der vorne zwei Räder, hinten aber breite Ketten
hatte, vermutlich, um sich auf Eis und Schnee besser
fortbewegen zu können.
»Das ist ein Horch 34/4«, fuhr Trautman mit finsterem
Gesicht fort. »Eine Spezialanfertigung, die nur von der
deutschen Kriegsmarine benutzt wird. Da stimmt was nicht.«
»Die Deutschen?«, fragte Ben. »Hier? Steht Norwegen denn
auf der Seite der Deutschen?«
»Nein«, antwortete Trautman. »Das ist es ja, was mir nicht
gefällt. Norwegen gehört zu den neutralen Staaten, die sich aus
dem Krieg heraushalten. Und dann auch noch dieser Zerstörer,
der uns aufgelauert hat ...« Er schüttelte nachdenklich den Kopf,
dann richtete er sich mit einem Ruck auf und fuhr
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