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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Läden gesichert waren. Mit Ausnahme
dessen, was Trautman für die Hafenkneipe hielt, brannte
nirgendwo Licht. Aber es war auch nicht richtig dunkel, denn
sämtliche Gebäude waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt,
die das Licht von Mond und Sternen reflektierte. Und auch die
wenigen Boote, die im Hafen lagen, boten ein unheimliches
Bild: Sie waren festgefroren, Segel und Tauwerk weiß
überzuckert, sodass manche wie bizarre Eisskulpturen aussahen,
kaum noch etwas von Menschenhand Geschaffenes. Was die
eigentliche Stadt anging, so war Mike auf Vermutungen
angewiesen. In dem grauen Dämmerlicht verschmolzen die
Gebäude zu einem einzigen, verschwommenen Umriss. Aber er
glaubte nicht, dass der Ort mehr als tausend Einwohner hatte.
Wahrscheinlich weniger. Und das war ein weiteres Problem. In
einem Ort dieser Größe musste jeder Fremde auffallen wie ein
bunter Hund. Aber sie hatten ja nicht vor, lange zu bleiben.
    Gerade als Mike glaubte, in der nächsten Sekunde mitten im
Schritt erstarren zu müssen, erreichten sie die Hafenkneipe und
traten ein. Drinnen war es warm, düster und stickig, genau wie
Mike erwartet hatte, aber nicht annähernd so voll, wie er
angenommen hatte. Die Einrichtung des Raumes war einfach.
Die Theke bestand aus einer Anzahl großer Fässer, über die ein
langes Brett gelegt worden war, und dasselbe galt in kleinerem
Maßstab für Tische und Stühle. Der Raum hätte Platz für
dreißig oder vierzig Personen geboten, aber nur an zwei Tischen
saßen einige Männer und tranken etwas. Hinter der Theke
lungerte ein finster aussehender, mehr als zwei Meter großer
Eskimo – Inuit, verbesserte sich Mike in Gedanken –, dessen
Gesicht sich noch weiter verdüsterte, als er sie sah. Trautman
nickte ihm flüchtig zu, aber er reagierte nicht darauf, sodass sie
wortlos weitergingen und an einem der freien Tische Platz
nahmen. Noch immer schweigend hob Trautman zwei Finger
und winkte dem Wirt zu. Der Mann füllte zwei verbeulte
Zinkbecher mit Bier und knallte sie so heftig vor ihnen auf den
Tisch, dass der Schaum Mike bis ins Gesicht spritzte.
    »Wie freundlich«, murmelte Mike, fing dann aber einen
warnenden Blick Trautmans auf und schluckte den Rest seiner
Bemerkung hinunter. Es war wahrscheinlich auch klüger. Man
musste nicht wie Astaroth Gedanken lesen können, um zu
begreifen, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung war. Der Wirt
war nicht der Einzige, der sie ganz offensichtlich nicht gerne
sah. Auch das halbe Dutzend Männer, das an den zwei Tischen
saß, war still geworden; Mike konnte ihre feindseligen Blicke
regelrecht spüren.
    »Nicht so laut«, zischte Trautman. »Hier stimmt irgendetwas
nicht. Ich will herausfinden, was es ist.« Mike probierte
vorsichtig an seinem Bier und stellte überrascht fest, wie gut es
schmeckte: süß und auf eine angenehme Weise kühl.
    Trautman hob warnend die linke Augenbraue. »Pass mit dem
Zeug auf«, murmelte er.
»Ich habe schon einmal Bier getrunken«, antwortete Mike
beleidigt.
»Ich weiß«, erwiderte Trautman. »Aber nicht dieses. Es
schmeckt wie Fruchtsaft, aber es hat fast so viel Alkohol wie
Schnaps. Also sei vorsichtig.« Wie um Mike zu verhöhnen,
trank er selbst einen gewaltigen Schluck aus seinem Becher,
verzog genießerisch das Gesicht und lehnte sich zurück. Er griff
in die Tasche, förderte eine Pfeife zutage und begann sie
umständlich zu stopfen. Mike war erstaunt. Er hatte Trautman
seit Jahren nicht rauchen sehen.
Die Zeit verstrich träge. Mike nippte dann und wann
vorsichtig an seinem Bier, während Trautman gemütlich seine
Pfeife paffte und rasch hintereinander gleich drei Becher des
hochprozentigen Getränks leerte. Nach vielleicht zehn Minuten
stand einer der anderen Gäste auf und ging. Trautman blickte
ihm nach, sagte aber nichts.
Als der Wirt den vierten Becher Bier brachte, sprach
Trautman ihn an: »Auf ein Wort, guter Mann.«
Mike registrierte überrascht, dass Trautman nun die deutsche
Sprache benutzte. Er selbst verstand Deutsch, sprach aber nicht
fließend genug, um damit durchzukommen. An Bord der
NAUTILUS redeten sie prinzipiell englisch, weil sich die
Besatzung aus den unterschiedlichsten Nationalitäten
zusammensetzte. So hatte Mike fast vergessen, dass Deutsch ja
eigentlich Trautmans Muttersprache war. Zu seiner
Überraschung antwortete der Inuit in derselben Sprache, wenn
auch mit einem schweren Akzent.
»Was kann ich für Sie tun, mein Herr?«
Trautman lächelte. »Nicht so förmlich! Ich habe nur ein
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