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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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rief Yaszek mich auf dem Handy an.
    »Wir haben den Lieferwagen gefunden.«
 
    Ich nahm ein Taxi, das stop-and-go im großen Verkehrsstrom mitschwamm. Auf der Pont Mahest ging gar nichts mehr, hüben wie anderswo. Ich hatte Muße, in die trüben Fluten hinunterzuschauen, während wir uns im Schneckentempo dem Westufer näherten, dem Qualm und den schmierigen Werftbooten im reflektierten Licht verspiegelter Bürotürme an einem fremden Gestade - ein Neid erregendes Viertel der Hochfinanz. Besź-Schlepper schaukelten im Kielwasser nichtsehbarer Wassertaxis.
    Der Lieferwagen stand mit Schlagseite in dem schmalen Durchlass zwischen den Hallen einer Import-Export-Firma und einem Bürohochhaus, eine Kluft voller Müll und Wolfsscheiße, Verbindungsglied zwischen zwei größeren Straßen. Flatterband sperrte beide Enden ab - ein minderschwerer Verstoß gegen die Vorschriften, weil die Gasse eigentlich Deckungsgleiche war, allerdings wenig benutzt. Man pflegte in solchen Situationen beiderseits ein Auge zuzudrücken. Meine Kollegen machten sich an und in dem Fahrzeug zu schaffen.
    »Chef.« Das war Yaszek.
    »Ist Corwi unterwegs?«
    »Ja. Ich habe sie benachrichtigt.« Yaszek äußerte sich nicht zu meiner eigenmächtigen Requirierung der jungen Beamtin. Sie ging voraus. Es war ein alter, ramponierter VW in sehr schlechtem Zustand. Er war eher cremefarben als grau, doch wegen der dicken Dreckschicht sah er dunkler aus.
    »Fertig mit den Fingerabdrücken?«, fragte ich und streifte Latexhandschuhe über. Die KTler nickten und arbeiteten um mich herum.
    »Er war unverschlossen«, sagte Yaszek.
    Ich öffnete die Fahrertür und bohrte den Finger in die rissigen Sitzbezüge. Kitsch auf dem Armaturenbrett - eine Hula tanzende Heilige. Ich warf einen Blick ins Handschuhfach, fand einen zerfledderten Straßenführer und Schmutz. Ich blätterte den Führer durch, aber nichts: Es war der normale Stadtplan Besźels für Autofahrer, allerdings eine uralte Ausgabe, noch in Schwarz-Weiß.
    »Und woher wir wissen, dass es der gesuchte Wagen ist?« Yaszek führte mich nach hinten und öffnete die Türen. Ich schaute in den Laderaum und sah noch mehr Dreck, Nylonschnur, Müll, überlagert von einem muffigen, aber nicht abstoßenden Geruch, zu gleichen Teilen Rost und Moder. »Was ist das für ein Zeug?«
    Ich schaute mir das Sammelsurium näher an. Ein paar unidentifizierbare Einzelteile. Ein kleiner Motor von irgendwas, ein kaputter Fernseher, Reste von diesem und jenem, spiralförmige Überbleibsel von wer-weiß-was auf einem Bett aus alten Decken und Staub. Rost, Rost, Rost und Krusten aus Eisenoxid.
    »Sehen Sie das?« Yaszek wies auf Flecken auf der Ladefläche. Bei flüchtigem Hinsehen hätte ich gesagt, es wäre Öl. »Ein paar Leute aus dem Bürogebäude haben ihn gemeldet, ein verlassener Lieferwagen. Die uniformierten Kollegen stellen fest, dass die Türen offen sind. Ich weiß nicht, ob sie ihre Meldungen auswendig lernen oder ob sie einfach besonders gründlich sind, wenn sie Unerledigtes durchgehen, in jedem Fall profitieren wir davon.«
    Yaszek bezog sich darauf, dass man gestern Morgen - so das normale Prozedere - alle Streifen über Funk angewiesen hatte, Fahrzeuge grauer Farbe zu überprüfen und zu melden, und der Mordkommission Bericht zu erstatten. Wir konnten uns glücklich schätzen, dass die Kollegen nicht einfach den Abschleppdienst gerufen hatten.
    »Wie auch immer, sie entdeckten auf dem Boden des Laderaums etwas, das wie Blut aussah, nahmen eine Probe und ließen sie testen. Die Ergebnisse werden noch verifiziert, aber wir können zu neunundneunzig Prozent sicher sein, dass es sich um Fulanas Blutgruppe handelt. Bald wissen wir's genau.«
    Ich schob mich in den Laderaum wie ein Maulwurf unter einen Hügel Abraum, stöberte behutsam in dem Unrat, hob mit einem Finger die Metallteile an. Als ich meine Hand anschaute, war sie rot. Ich betrachtete ein Stück nach dem anderen, prüfte die größeren auf Masse und Gewicht. Zu dem Motordings gehörte ein Stück Rohr, das als Handgriff dienen konnte, und es war auch schwer und kompakt genug, um gehörigen Schaden anzurichten, wenn man jemanden damit schlug. Allerdings waren keine Spuren daran zu entdecken, kein Blut, keine Haare, keine blanke Stelle. Als Mordwaffe fand ich es nicht überzeugend.
    »Ihr habt nichts entfernt?«
    »Nein, keine Papiere, kein gar nichts. Es war nichts drin, außer diesem Geraffel. In ein, zwei Tagen kriegen wir die Ergebnisse der
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