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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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anschließend hinter der nächsten Ecke ein paar Minuten im Auto, lange genug, falls ein Angehöriger der jeweiligen Clique von Mitteilungsdrang ergriffen würde und sich kurz absentierte, um zu uns zu kommen und unter Missachtung der Ganovenehre die Informationen auszuplaudern, die uns Stück für Stück und auf verschlungenen Wegen zu Namen und Lebenslauf der toten Frau führen mochten. Wir warteten vergebens. Ich gab meine Karte vielen Leuten und notierte mir die Namen derer, von denen Corwi sagte, sie seien wichtig.
    »Das waren so ziemlich alle meine Kontakte von früher«, meinte sie schließlich. Einige der Männer und Frauen hatten Corwi erkannt, doch mir war nicht aufgefallen, dass sie deswegen zugänglicher gewesen wären. Gegen zwei Uhr morgens gelangten wir übereinstimmend zu der Feststellung, dass man die Aktion als beendet betrachten konnte. Unter einem verwaschen aussehenden Halbmond standen wir in einer auch von den ausdauerndsten Nachtschwärmern verlassenen Straße.
    »Sie ist nach wie vor ein Fragezeichen.« Corwi war erstaunt über unseren Mangel an Erfolg.
    »Ich werde veranlassen, dass man überall in der Gegend Plakate mit ihrem Foto aufhängt.«
    »Wirklich, Chef? Wird der Kommissar das genehmigen?« Wir unterhielten uns halblaut. Ich flocht meine Finger in die Maschen eines Drahtzauns um ein Gelände, auf dem es nichts anderes als Schutthügel und Gestrüpp gab.
    »Wird er«, antwortete ich. »Er wird sich breitschlagen lassen. So happig ist es nicht.«
    »Immerhin müssen mehrere Polizisten etliche Stunden lang für die Aktion abgeordnet werden. Er wird Ihnen was husten. Viel zu viel Aufwand für eine ...«
    »Wir müssen erfahren, wer sie ist. Und wenn ich die Dinger höchstpersönlich anbringen muss.«
    Ich stellte mir vor, dass jedes Revier eine gewisse Anzahl Plakate erhielt und aufhängte. Gelang es uns, die Tote zu identifizieren, und stellte sich heraus, dass Fulana das war, was wir - unter Vorbehalt - vermuteten, würde man uns die bescheidenen Ressourcen streichen, über die wir jetzt verfügten. Erfolg bedingte Scheitern.
    »Sie sind der Chef, Chef.«
    »Strenggenommen nicht, aber was diesen Fall angeht, ja, wenigstens vorübergehend.«
    »Sollen wir?« Sie zeigte auf das Auto.
    »Ich nehme die Tram.«
    »Im Ernst? Kommen Sie, das dauert ja ewig.« Ich winkte ab und schlug den Weg zur nächsten Haltestelle ein. Verfolgt vom Geräusch meiner eigenen Schritte und dem hysterischen Kläffen eines Wachhunds ging ich ein Stück weit durch fremdes orangefarbenes Licht, das den fahlen Schein unserer eigenen Laternen überlagerte.
 
    An seinem Arbeitsplatz gab Shukman sich zurückhaltender als in der Oberwelt. Ich hatte Yaszek am Telefon und fragte nach dem Videomitschnitt von der Befragung der Jugendlichen am Tag zuvor, als Shukman sich meldete und mich aufforderte, zu ihm zu kommen.
    Erwartungsgemäß war sein Reich ein kaltes Reich, in der Luft waberten chemische Dünste. In dem großen fensterlosen Raum befand sich ebenso viel dunkles, fleckiges Holz wie Edelstahl. An den Wänden hingen von Zetteln überwucherte Pinnbretter.
    Der Raum machte einen vage schmuddeligen Eindruck, aber als ich einmal die Probe aufs Exempel machte und mit dem Finger durch eine schmierig aussehende Rille beim Überlauf strich, musste ich feststellen, dass der Eindruck täuschte. Alles war peinlich sauber. Shukman stand am Kopfende eines stählernen Seziertischs, auf dem unsere Fulana lag. Sie war mit einem leicht fleckigen Tuch bedeckt, das sich an die Konturen ihres Gesichts schmiegte, und schien still auf das zu lauschen, was wir über sie redeten.
    Ich schaute zu Hamzinic. Nach meiner Schätzung war er nur wenig älter als die tote Frau. Er stand respektvoll, die Hände gefaltet, in unserer Nähe. Zufällig oder auch nicht hatte er sich neben einer Pinnwand postiert, an der zwischen Postkarten und Memos eine kleine bunte Schahada hing. Hamd Hamzinic wäre in den Augen der Mörder von Avid Avid ebenfalls ein Ébru gewesen. Heutzutage war der Ausdruck nur noch bei den Gestrigen in Gebrauch, bei den Rassisten oder, als umgekehrte Provokation, bei denen, auf die das Schimpfwort gemünzt war: Eine der besten Hip-Hop-Gruppen von Besźel nannte sich Ébru W A.
    Strenggenommen war die Vokabel in absurder Weise unzutreffend für Pi mal Daumen die Hälfte der damit Bezeichneten. Doch seit wenigstens zweihundert Jahren, seit Flüchtlinge aus der Balkanregion bei uns Asyl suchten und dadurch der muslimische
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