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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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wie nicht anders zu erwarten in Anbetracht des Fundorts. Und mit Rost.«
    »Rost?«
    »Rost. Jede Menge Abschürfungen, Schrammen, Kratzer, hauptsächlich post mortem, und jede Menge Rost.«
    Wieder nickte ich. Legte die Stirn in Falten.
    »Abwehrverletzungen?«
    »Fehlanzeige. Die Attacke erfolgte schnell und unerwartet, oder sie hatte dem Angreifer den Rücken zugewendet. Am Körper finden sich noch zahlreiche weitere oberflächliche Läsionen.« Shukman deutete auf die entsprechenden Stellen. »Anzeichen dafür, dass sie über den Boden geschleift wurde. Die Schrift der Gewalt.«
    Hamzinic öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Ich schaute zu ihm hin. Er schüttelte bedauernd den Kopf: Nein, nichts.

3. Kapitel
 
    Die Plakate waren aufgehängt. Die meisten in der Umgebung des Fundorts unserer Fulana, einige auch in den Hauptstraßen, den Einkaufspassagen, in Kyeszov und Topisza und vergleichbaren Gegenden. Ich stieß mit der Nase darauf, als ich meine Wohnung verließ.
    Die lag in einiger Entfernung vom Zentrum, östlich und etwas südlich der Altstadt, das zweitoberste Apartment in einem sechsstöckigen Mietshaus in der VulkovStrász. Die Vulkov ist eine stark deckungsgleiche Straße - Block um Block unterbrochen von Enklaven, an einigen Punkten sogar Haus um Haus. Die hiesigen Gebäude sind zwischen ein und drei Stockwerke höher als die externen, darum gemahnt die Silhouette des Straßenzugs an Reihen mittelalterlicher Zinnen. Gemustert vom Schatten der Stahlfachwerktürme, die man über ihr aufragen sehen würde, wären sie denn hiesig, steht am Ende der VulkovStrász die Himmelfahrtskirche. Trotz der schützenden Gitter sind einige Scheiben der Buntglasfenster zerbrochen.
    Alle paar Tage war Fischmarkt, dann verzehrte ich mein Frühstück zum Geschrei der Händler bei ihren Eiskübeln und Gestellen mit Mollusken. Die jungen Frauen, die dort arbeiteten, standen in der Tracht ihrer Großmütter hinter den Tischen, mit einem Kopftuch im Küchenkaro und großen Schürzen, in deren rot-grauem Muster die Flecken vom sudeligen Geschäft des Fische-Ausnehmens untergingen. Die Männer sahen aus, als kämen sie stracks vom Boot, wackere Kerle, die ihren Fang auf den breiten Schultern meeresfrisch zu den Ständen auf dem Kopfsteinpflaster unter meinem Fenster trugen. Die Kunden schlenderten herum, blieben hier und da stehen und berochen die Ware.
    Morgens fuhren Züge auf einem Hochgleis nur wenige Meter vor meinem Fenster vorbei. Vor meinem Fenster, aber nicht in meiner Stadt. Natürlich tat ich es nicht, aber ich hätte in die Wagen schauen können, so gering war der Abstand, und in die Augen der fremden Reisenden.
    Sie ihrerseits hätten einen hageren Mann in mittleren Jahren gesehen, im Morgenmantel bei Frühstücksjoghurt und Kaffee sitzend und eine Zeitung schüttel-faltend - Inkyistor oder Iy Déurnem oder ein abgegriffenes Besźel Journal, Letzteres zur Pflege meiner englischen Sprachkenntnisse. Gewöhnlich allein - ab und zu könnte die eine oder andere von zwei Frauen ungefähr in seinem Alter anwesend sein (eine Wirtschaftshistorikerin, eine Journalistin eines Kunstmagazins. Sie wussten nicht voneinander, aber auch wenn, es hätte sie nicht gestört).
    Als ich das Haus verließ, sprang mich von einer Plakatwand Fulanas Gesicht an. Ihre Augen waren geschlossen, aber man hatte an dem Bild herumgefeilt, bis sie nicht mehr tot aussah, sondern erstaunt. Kennen Sie diese Frau?, stand darunter. Das Plakat war schwarz-Weiß gedruckt, auf mattem Papier. Rufen Sie die Mordkommission an, unsere Nummer. Das Vorhandensein des Plakats mochte ein Beweis dafür sein, dass die Polizisten dieses Reviers besonders tüchtig waren und bereits ihrer Pflicht genügt hatten. Oder sie wollten sich bei mir in ein gutes Licht setzen, und weil sie meine Adresse kannten, platzierten sie ein oder zwei Plakate genau vor meiner Nase.
    Das Präsidium lag einige Kilometer entfernt. Ich ging zu Fuß, an den Backsteinarkaden entlang: Oben, wo die Gleise verliefen, waren sie extern, aber nicht bei allen reichte das Fremde bis ganz nach unten. Die, die ich sehen durfte, beherbergten kleine Läden und besetzte Wohnungen, alles mit künstlerisch wertvollen Graffiti dekoriert. In Besźel war es eine ruhige Gegend, aber die Straßen wimmelten von denen anderswo. Ich nichtsah sie, aber es kostete Zeit, sich zwischen ihnen hindurchzuschlängeln. Bevor ich die Einmündung der Via Camir erreichte, durch die mein täglicher Weg zur Arbeit führte,
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