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Die Spur der Kinder

Titel: Die Spur der Kinder
Autoren: Hanna Winter
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Hände und Füße des Mädchens frei. Dem schlafenden Kind entwich ein leises Stöhnen, als Braun erst die Fußballen, dann die Handflächen des Kindes mit so tiefen Schnitten versah, dass das Blut in gleichmäßigen Intervallen herausströmte. Eine dunkle Lache breitete sich unter den Füßen und Händen des Kindes auf der Decke aus.
    Ein Anblick, bei dem sich Fiona die Eingeweide zusammenzogen. Sie lässt die Kinder ausbluten wie geschächtete Tiere. Und sie scheint sich ihrer Grausamkeit nicht im Geringsten bewusst zu sein.
    Dagmar Braun schob Luna ein Kissen unter den Kopf, strich ihr die lockigen Haare zurück und setzte die Klinge an dem zierlichen Kinderhals an.
    Für einen Moment schloss Dagmar Braun die Augen,wie um sich ganz und gar auf ihr Vorhaben zu besinnen.
    »… lausch ich seither im Geist dem Liede,
    löst es mir jede herbe Pein.
    Und stille Wehmut, tiefer Friede
    zieht dann in meine Seele ein …«
    Fionas Blick verschwamm, und abwechselnd sah sie Luna und Sophie vor sich.
    Lieber Gott, bitte lass es vorübergehen.
    Von draußen wurde Gebell laut, das nach einem kurzen Aufjaulen erstarb.
    Piet Karstens, der langsam zu Bewusstsein kam, öffnete mühsam die Augen und versuchte vergeblich, sich aufzurichten.
    Plötzlich trat jemand die Tür hinter Braun krachend auf.
    Frauke Behrendt stand mit gezogener Waffe im Gegenlicht. »Lassen Sie die Rasierklinge fallen, oder ich schieße!«, schrie sie die Erzieherin an.
    »Waffe runter, sonst ist das Mädchen tot!«, hielt Dagmar Braun dagegen, während ihr Bruder unbemerkt im Hinterzimmer verschwand.
    Die Klinge an der Kehle des Mädchens ließ Behrendt keine Wahl. Vorsichtig legte sie die Waffe vor dem Campingtisch auf den Boden.
    »Ich hab getan, was Sie wollten, jetzt sind Sie an derReihe!«, rief Behrendt. Ganz langsam und unauffällig schob sie die Pistole mit dem Fuß unter dem Tisch Richtung Karstens.
    »Weg mit der Klinge!«, schrie Behrendt.
    Doch Dagmar Braun dachte gar nicht daran. »Niemand wird das Ritual stören, auch Sie nicht!«, fauchte sie. Ihre Augen blitzten fanatisch auf. Und dann tat sie es: Mit einer raschen Handbewegung schnitt sie Lunas Halsschlagader auf. Sofort schoss ihr eine Fontäne Blut entgegen, während Piet Karstens mit letzter Kraft zu der Pistole robbte und vom Boden aus einen Schuss abfeuerte. Dagmar Braun sank getroffen zu Boden.
    Frauke Behrendt schnellte zu dem Kind und drückte ihre Finger fest auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen.
    »Komm schon, bleib hier, Luna! Bleib hier!«
    Schwerfällig hob und senkte sich die Brust des Mädchens.
    Plötzlich sah Fiona Brauns Bruder mit einem Spaten in der Hand aus dem Hinterzimmer treten. Mit aller Kraft rüttelte Fiona an der Heizung, um Behrendt zu warnen, als der Mann sich der Polizistin näherte und zu einem Schlag ausholte. Fiona presste die Augenlider, so fest sie konnte, zusammen, als unverhofft ein weiterer Schuss durch den Keller dröhnte.
    Auf der Treppe erkannte sie Hannes Jäger, der jetzt mit Verstärkung im Schlepptau den Keller stürmte.Brauns Bruder ließ den Spaten fallen. Getroffen taumelte er gegen das Kinderbett und gab ein letztes infantiles Kichern von sich, bevor das Bett unter seinem Gewicht krachend zusammenbrach.
    »Schnell, das Kind schafft’s nicht!«, schrie Frauke Behrendt, die erst jetzt zu registrieren schien, was sich hinter ihr abgespielt hatte. Ihr Trenchcoat war über und über mit Blut bespritzt.
    Das Letzte, woran sich Fiona erinnerte, waren die Sanitäter, die Luna davontrugen, und dass ihr jemand eine Decke um die Schultern gelegt und sie aus dem Keller hinaus geleitete. Dann verschleierte der brennende Schmerz an ihrer Schläfe ihren Blick, und alles um sie herum verschwamm.

Sonntag,5. Juli
    (In Berlin)
    Die hereinfallende Mittagssonne ließ das Krankenzimmer nicht ganz so steril erscheinen, wie es roch. Fiona lag auf der Seite, hielt ein Kissen umschlungen und sah in den Park hinaus. An einem Springbrunnen tollten einige Kinder und verbreiteten eine heitere Sorglosigkeit, von der Fiona nicht einmal mehr zu träumen wagte. Noch immer konnte Fiona nicht fassen, was geschehen war, und noch immer quälte sie ein und dieselbe Frage: Was war mit Sophie geschehen?
    Im Lilienbeet hinter Dagmar Brauns Bungalow waren zwar die Gebeine von fast einem Dutzend Kinder zutage gefördert worden – weitaus mehr Opfer, als man angenommen hatte –, doch von Sophie fehlte weiterhin jede Spur. Wieder einmal fragte sich Fiona, wie lange sie die
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