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Die Sprache unserer Organe

Die Sprache unserer Organe

Titel: Die Sprache unserer Organe
Autoren: Jean-Pierre Barral
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unser psychisches Gleichgewicht wiederfinden müssen, kommt es manchmal zu erstaunlichen Reaktionen. Jemand, den man für gefestigt und stark hielt, zieht sich möglicherweise hinter seinen Schmerz zurück und wird von Ängsten blockiert. Auf der anderen Seite kann jemand, den man für sehr zerbrechlich hielt, durchaus über sich hinauswachsen, um sein Handicap zu überwinden. Diese Person wird möglicherweise Verbote und Anweisungen der Ärzte ignorieren, um sich der neuen Situation anzupassen und um sich selbst und der Welt zu beweisen, wozu sie fähig ist.
    Jean ist Chef eines Tiefbau-Unternehmens. Er ist das, was man wohl ein echtes » Alpha-Tier« nennt. Er ist immer im Einsatz, schläft nur vier bis fünf Stunden pro Nacht, seine Arbeiter betrachten ihn als »außergewöhnlichen Menschen«. Aber die Bedürfnisse des Körpers können nicht auf Dauer ignoriert werden: Eines Tages schläft Jean am Steuer ein und prallt mit seinem Auto gegen einen Baum. Zum Glück öffnet sich der Airbag und mildert den Aufprall und so auch die körperlichen Folgen. Das Ereignis hat jedoch psychische Konsequenzen für Jean. Wo er früher handelte, ohne sich Fragen zu stellen, beginnt er nun zu zweifeln. Er tut sich schwer, Entscheidungen zu fällen, verliert die klare Sicherheit einer Führungspersönlichkeit, mit der er sich bisher immer durchgesetzt hatte. Seiner Firma geht es
weiterhin gut, die Konkurrenten können aber nach und nach ein paar Marktanteile ergattern.
    Er konsultiert mich wegen diffuser Schmerzen, vor allem ist er völlig verunsichert. Er findet sein früheres Selbstbild nicht mehr, das Image eines erfolgreichen Unternehmers, risikofreudig und erfolgreich. Der Unfall hat seine Grundfesten erschüttert und ihm seine sozialen Bezugspunkte und sein gewohntes Auftreten geraubt. Einen Psychotherapeuten will er nicht aufsuchen. »Ich bin ja schließlich nicht verrückt«, sagt er zu mir, was ich schon von vielen stolzen »wahren« Männern gehört habe.
    Er möchte seine eigenen Weg finden, und es gelingt ihm auch. Er nimmt Abstand von seinem sozialen Image, ändert seinen Lebensrhythmus, arbeitet weniger, versucht besser und länger zu schlafen und ernährt sich ausgewogen. Zwar hat er weiterhin leichte Schulterschmerzen, aber es geht ihm besser. Vor allem ist er nicht länger Sklave des Bildes, das er von sich hatte geben wollen.
    Paradoxerweise kann ein Unfall auch positive Konsequenzen mit sich bringen.
    Nach einer Knieverstauchung, die Komplikationen nach sich zieht und eine lange Rehabilitation erfordert, beginnt ein junger Sportler, sich im Gespräch mit seinem Kinesiotherapeuten für Anatomie und Biomechanik zu interessieren. Letztlich ergreift er selbst diesen Beruf und spezialisiert sich auf Sportverletzungen, ein Bereich, in dem er seither Hervorragendes leistet. »Ich liebe meinen Beruf«, sagt er gerne. »Ohne diese schwere Verstauchung hätte ich mich sicher nie in diese Richtung orientiert und hätte mich völlig anders entwickelt!«
    Wir neigen zu der Aussage, dass es keinen Zufall gibt, was möglicherweise auch stimmt. Aber die Begegnung zwischen Menschen und das Zusammentreffen von Ereignissen bleiben von Geheimnissen umwoben! Stets suchen wir nach einer Antwort und nach dem Sinn des Lebens. Zu jeder Rehabilitation sollte der Versuch gehören, bei der Suche nach dem Sinn der erlittenen Verletzungen zu helfen. Nach einer Verletzung tauchen viele interessante Fragen auf. Es gilt die Wurzel des Übels zu finden, seine Botschaften und emotionalen Komponenten zu verstehen, unsere Verletzlichkeit und Sterblichkeit zu akzeptieren. Ziel ist die Arbeit auf der psychologischen und Verhaltensebene, um eine gute Therapieorientierung zu finden.

    Den Schmerz akzeptieren
    Nach einem Unfall muss der Körper zuerst die einwirkenden Kräfte und ihre emotionalen Komponenten verarbeiten, sie ihren Weg bis zu seinem Schwachpunkt finden lassen, wo sie sich manifestieren werden. Der Patient muss sich die Zeit nehmen, den Weg, den die Verletzung in seinem Körper genommen hat, zu analysieren, über die Auswirkungen nachzudenken, und er muss die Dauer bis zur Wiederherstellung seiner Gesundheit akzeptieren, ohne Frustrationen zuzulassen. Je gravierender die körperlichen Folgen eines Unfalls sind, desto länger dauert es, sie anzunehmen. Gerade Sportlern fällt die Akzeptanz meist schwer. Nach einer Verletzung durchlaufen sie in der Regel vier Phasen:
– Sie sind wütend und frustriert.
– Sie denken über die Umstände und
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