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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition)
Autoren: Olen Steinhauer
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ermordet. Weiß er, was es macht mit einem Vater. Weiß er, wenn zahlst du zurück zu dem Mörder, macht es gut für Vater, wenn es geht ihm schlecht. Nein, nicht gut. Besser.«
    »Besser als gut?«
    »Besser als schlecht. Weiß er, hat dieser Mann umgebracht meine Adriana. Sieht er Gerechtigkeit, will er Ordnung. Glaubt er an Ordnung der Dinge.«
    »Rick ist also ein Mann, der Ordnung schafft, wenn es keine Ordnung gibt.«
    »Exakt.«
    »Anscheinend mögen Sie ihn.«
    »Er macht mir Geschenk. Kennt er mich nicht, trotzdem macht er Geschenk.«
    Ein Geschenk , dachte Erika, das dir den Rest deines Lebens versauen wird, wenn erst einmal das wunderbare Hochgefühl abgeklungen ist.
    Bevor Leticia Jones die Vernehmung am Donnerstag, den 24. April um 13.18 Uhr beendete, legte sie die Hände auf den Eichentisch, der zwischen ihr und dem Moldawier stand, sodass ihre langen, rot lackierten Nägel im Deckenlicht schimmerten. »Herr Stanescu, nachdem ich das alles gehört habe, habe ich das Gefühl, dass Sie Rick wirklich mögen. Stimmt das?«
    Andrei nickte. »Ist er ganz guter Mann für mich.«
    »Aber dann wundert es mich«, fuhr sie fort, »dass Sie so offen mit uns über ihn sprechen. Ihnen muss doch klar sein, dass wir Ihrem Rick nicht unbedingt wohlgesinnt sind. Wir sind nicht seine Freunde. Im Gegenteil, er hat uns furchtbaren Schaden zugefügt, und da sind wir sehr nachtragend.«
    Andrei nickte.
    »Macht es Ihnen nichts aus, ihn zu verraten?«
    Lächelnd zitierte Andrei: »Gebt ihr dem Kaiser, was ist für den Kaiser, und Gott, was ist für Gott.«
    Aus diesem Buch kann sich wirklich jeder was herauspicken , dachte Erika.
    Hinter den Bäumen hörten sie den Verkehrslärm auf der Autobahn, als sie Leticia Jones hinaus zu ihrem Auto begleitete. »Und was ist das für ein Schaden, den er Ihnen zugefügt hat?« Als sie von Jones keine Antwort erhielt, wurde Erika deutlicher. »Xin Zhu, meine ich. Da muss doch was dahinterstecken. Im Ausland Leute auf offener Straße zu entführen ist schließlich keine Kleinigkeit.«
    Jones lächelte nur stumm, während unter ihren Füßen knirschend Zweige brachen.
    »Richten Sie Alan Drummond aus, wenn er ein bisschen weniger geheimniskrämerisch ist, könnte ich in unseren Akten nachschauen. Möglicherweise findet sich da was.«
    »Drummond?«
    »Ihr Chef.«
    »Sie haben es also noch nicht gehört.« Jones schüttelte den Kopf. »Alan Drummond ist seinen Job los.«
    »Deswegen wurden die Büros der Abteilung Tourismus leer geräumt?«
    Jones zuckte nicht mit der Wimper. »Ich weiß nur, dass er zurzeit arbeitslos ist. Alles andere ist nicht in meiner Gehaltsklasse.«
    »Also auch, was Xin Zhu mit euch angestellt hat?«
    Jones zuckte die Achseln. Sie schauten sich an.
    Erika legte ihr die Hand auf den Ellbogen. Endlich hatte sie begriffen. »Er hat die Abteilung vernichtet, oder? Die ganze Abteilung. Das ist …« Erika holte tief Luft und überlegte, was das bedeutete und wie es geschehen sein konnte. Eine geradezu Ehrfurcht einflößende Vorstellung. Eine legendäre Abteilung, die mindestens ein halbes Jahrhundert lang Spione auf der ganzen Welt in Angst und Schrecken versetzt hatte – zu Fall gebracht von einem einzelnen zornigen Mann in China.
    Leticia Jones wollte nichts bestätigen oder abstreiten. »Sie haben uns sehr geholfen, das amerikanische Volk wird es zu schätzen wissen.«
    »Das bezweifle ich.«
    Jones öffnete die Tür, dann legte sie Erika die Hand auf die Schulter, als wäre ihr noch etwas eingefallen. »Jedenfalls ich weiß es zu schätzen.«
    »Aber nicht so sehr, dass Sie mir verraten, was Xin Zhu getan hat?«
    Jones setzte sich ins Auto und ließ das Fenster herunter. »Xin Zhu hat alles und nichts getan. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Ein Achselzucken, dann fuhr Leticia Jones weg.
    Schon am Abend saßen sie und Hector Garza in Flugzeugen Richtung New York. Erika stellte ein Team zur Beobachtung ab, doch irgendwo auf der Straße zwischen New York und Washington verschwanden die beiden Agenten in der kühlen amerikanischen Nacht.

Teil 1
    Im Haus der sozialistischen Philosophie
    Freitag, 16. Mai bis Dienstag, 20. Mai 2008

1
    Die Zeit, die Xin Zhu dafür aufgewandt hatte, nicht belauscht zu werden, hätte sich zu einem ganzen Leben addieren lassen. Stundenlange Fahrten auf umständlichen Strecken durch eine Stadt, den Blick immer im Rückspiegel; endloses Starren auf Spiegelbilder in Straßenfenstern; Schlangestehen um Brot oder
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