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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition)
Autoren: Olen Steinhauer
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fing an zu lachen. »Na schön, ich rede mit dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit. Ich kenne da jemanden, der mir vielleicht weiterhilft. Er darf bloß nicht wissen, dass es für dich ist.«
    »Danke.«
    »Und du hast keine Ahnung, was diese Jones in der einen Woche hier getrieben hat?«
    »Wir kennen das Hotel. An einem Abend war sie im Hotelrestaurant.« Zhus Antwort war nicht unbedingt eine Lüge, höchstens eine irreführende Verkürzung. »Wir brauchen Hilfe.«
    »Was du brauchst, ist eine gute Verteidigung am Montagmorgen.«
    »Vor allem brauche ich was zu trinken. Du auch?«
    Zhang Guo trat heran und legte die Hand auf Zhus schütteren Kopf. »Du bist ein hässlicher Fettsack. Sung Hui muss blind sein.«
    »Endlich sind wir uns mal einig.«

2
    Sung Hui stammte aus Xinyang, eine junge Pionierin, die später zum Jugendverband stieß und für ihre aufgeklärte proletarische Weltanschauung im Alter von dreiundzwanzig Jahren mit einer Reise nach Peking zur Nationalen Delegiertentagung 2003 belohnt wurde. Dort lernte der damals einundzwanzigjährige Delun sie kennen und war schon bald Feuer und Flamme für diese schöne junge Frau aus der Provinz, die so unerbittlich die Parteilinie vertrat. Weil seine Mutter schon vor über einem Jahrzehnt gestorben war, führte er die neue Freundin seinem Vater vor, und irgendwann in den darauffolgenden zwei Jahren verschwammen die Grenzen. Delun übersiedelte in den Sudan, um für Sinopec zu arbeiten. Bei gewalttätigen Unruhen wurde er von dunkelhäutigen Aufständischen mit Macheten zerstückelt. Das war im April 2007. Ein Vierteljahr später zog Sung Hui bei Xin Zhu ein, doch zuerst herrschte in der Wohnung nur gemeinsame Trauer. Dann bat sie ihn völlig überraschend, sie zu heiraten.
    Seit dem Tod seiner Frau im Jahr 1989, einen Monat vor dem Zwischenfall auf dem Tian’anmen-Platz am 4. Juni, hatte Zhu die Nuancen des Lebens mit einer Frau aus den Augen verloren. Sung Hui brachte ihn auf eine Weise aus der Fassung, wie es ihm seit seiner Jugend nicht mehr passiert war. Über einfache Fragen von ihr musste er ausgiebig nachgrübeln, und in Läden rätselte er viel zu lange darüber, welche Armbanduhr ihr vielleicht gefallen könnte. Vor allem aber weckte sie den Beschützerinstinkt in ihm. Sung Hui war achtundzwanzig, dreißig Jahre jünger als er, und er sah sie unweigerlich als potenzielles Opfer. In den achtundfünfzig Jahren seines Lebens hatte er oft erlebt und manchmal sogar die Verantwortung dafür getragen, dass Unschuldige zu Opfern wurden, und besonders schwer wog das grausige Ende seines Sohnes in Afrika. Also schirmte er sie von möglichst vielen Aspekten seiner Arbeit ab, und nun hatte er, um sie zu beschützen, sogar seinem ältesten Freund Zhang Guo den Inhalt von Leticia Jones’ Auftrag verschwiegen.
    Am Mittwoch, zwei Tage vor dem Treffen mit Zhang Guo und fünf Tage nach der Abreise von Leticia Jones oder Rosa Munu aus China, tauchte Sung Huis Schneiderin in völlig aufgelöstem Zustand in der Wohnung auf. Sung Hui machte ihr Tee und ließ sie in der Küche Platz nehmen. Nach mehreren Fragen erfuhr sie schließlich, dass die Nichte der Schneiderin von einem Bekannten im Blim-Blam, einem unweit von Zhus Büro im Universitätsviertel von Haidian gelegenen Rockclub, ausgefragt worden war. Die Fragen drehten sich um Sung Hui und das Leben mit ihrem Mann, um ihre Alltagsverrichtungen und regelmäßigen Termine. Sung Hui rief Zhu in der Arbeit an, und er kam sofort nach Hause, um gleich anschließend mit der Schneiderin zu deren Nichte zu fahren; sie gab ihm eine Beschreibung des jungen Mannes, der sie ausgehorcht hatte: Dongfan Beisan, Anfang zwanzig, »sehr sexy«, Musiker. Er trat regelmäßig im Blim-Blam auf. Wo er wohnte, war allerdings ein Rätsel, da seine Adresse bei den Behörden nicht gemeldet war.
    Statt sich mit diesem Wissen an das Ministerium für Öffentliche Sicherheit zu wenden und eine Akte über Dongfan Beisan anzufordern, besuchte er noch am gleichen Abend mit seinem Assistenten Shen An-ling den Club, einen schmuddeligen Keller an einem engen, mit Fahrrädern verstopften Hutong. Das Blim-Blam war voller Kinder, die verschmierte T-Shirts, Jeans und zerzauste Frisuren trugen und mit tödlich gelangweilter Miene Bier tranken. Aus den Lautsprechern dröhnten die Ramones. Beim Anblick der beiden Männer in Anzügen, die ihre Höhle betraten, geriet die gelangweilte Attitüde der Teenager kurz ins Wanken. Der ältere der zwei, der einen
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