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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrich Tukur
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reagieren würde.
    Ohne auf die finstere Stimmung einzugehen, die ihm im Büro entgegenschlug, hatte Jean-Luc sofort angefangen zu reden, und seine Stimme überschlug sich fast dabei.
    Er hatte sichtlich Angst vor Philippe, dessen bösartiges Temperament er nur zu gut kannte, und er wollte ihm keine Gelegenheit zum Angriff bieten, sondern sofort die Bombe zünden, von der er sicher war, daß sie alle zum Schweigen brächte.
    »Leute, ihr werdet’s mir nicht glauben, aber ich habe ihr Zimmer gefunden! Séraphines Zimmer!! Perfekter geht’s wirklich nicht, als hätte sie dort gelebt! Es ist nicht weit von hier, ein paar Kilometer hinter Aumont, wir müßten nur hinfahren. Der Besitzer hat mir schon zugesagt. Wir können das Zimmer haben, wir müssen nur die Details regeln, Formsache, Leute! Und das Größte: Wir kriegen es umsonst! Ich …«
    »Wo bist du gewesen?« Philippe erhob sich drohend hinter dem Schreibtisch.
    Er sprach leise, aber kochte innerlich vor Wut.
    »Du bist wohl vollkommen durchgeknallt, Bonnard?!«
    »Tut mir leid, Philippe, ich versteh’ ja, daß du sauer bist … Dann sehen wir die Muster eben ein paar Tage später … aber jetzt ist doch wenigstens der Drehort da! Er ist wirklich gut, Philippe, es paßt alles …«
    »Halt die Luft an, Jean-Luc, und hör mal gut zu!« fauchte ihn Philippe an. »Samstag früh kriege ich einen Anruf aus dem Kopierwerk und falle fast aus dem Bett vor Schreck. Nichts ist eingetroffen, das Material ist nicht da, du bist verschwunden, kein Mensch kann dich telephonisch erreichen, Gilles macht sich Sorgen und mir die Hölle heiß …
    Wir sitzen hier seit halb sechs Uhr und warten auf dich, ist dir das klar?
    Ich war schon drauf und dran, die Polizei einzuschalten! Hättest du jetzt vielleicht die Güte, mir zu erklären, wo du verdammt noch mal gesteckt hast?!«
    Jean-Luc hob die Schultern, streckte die Arme in ergebener Geste von sich und bekam einen roten Kopf, aber nichts kam über seine Lippen.
    »Wo du warst, will ich wissen!!«
    »Das ist schwer zu sagen.«
    »Machst du dich über mich lustig? Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen! Scheiße noch mal, Bonnard, was ist nur los mit dir?!«
    Philippe war jetzt auf dem besten Wege zu einem seiner gefürchteten Wutausbrüche, aber irgend etwas hinderte ihn daran, dem logischen Verlauf seiner Empfindung nachzugeben.
    Jean-Luc blickte zu Boden, als schämte er sich eines zu großen Gefühls.
    Dann sagte er leise: »Ich habe etwas gesehen, gestern oder vorgestern nacht, ich weiß nicht mehr … aber ich habe keine Worte dafür, und auch wenn ich sie fände, würdet ihr nur denken, ich sei verrückt …«
    Er sah einen nach dem anderen an, und seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz.
    Frédéric schob ihm einen Stuhl hin.
    »Also gut …«, sagte Jean-Luc dann vorsichtig, »… ich will es versuchen.«
    Er setzte sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn und lächelte unsicher in die Runde.
    Dann senkte er den Kopf und begann.
    »ICH BIN FREITAG NACH Drehschluß Richtung Paris gefahren, wie immer. Bei Aumont, dachte ich, nehme ich mal eine Abkürzung, die kleine Straße, die am Ende des Dorfes nach rechts abgeht, gleich hinter der Autowerkstatt.
    Die bin ich hineingefahren und weiter, immer weiter, an Feldern und Wiesen vorbei, durch schattige Täler und über Hügel, auf denen das letzte Sonnenlicht lag, einen Fluß entlang, über Brücken ohne Geländer, ein altes Stauwehr – und wußte irgendwann einfach nicht mehr, wo ich war. Kein Ortsschild, kein Haus, keine Menschenseele, nichts!
    Es fing an dunkel zu werden.
    Ich fuhr in einen kleinen Wald, und als ich auf einer Anhöhe herauskam, sah ich rechts von mir im Scheinwerferlicht eine hohe Mauer und nach etwa einhundert Metern ein eisernes Eingangstor, dessen eine Hälfte so schief in den Angeln hing, daß sie herauszubrechen drohte.
    Ich hielt den Wagen an und stieg aus.
    Als ich durch das Tor trat, erhob sich vor mir ein mächtiges Gebäude mit Türmchen, Giebeln und Kaminen, das sich wie ein düsterer Scherenschnitt gegen den Nachthimmel abzeichnete. Es schien ziemlich heruntergekommen. Das Dach des linken Flügels war eingestürzt.
    Plötzlich flammte hinter einem der Fenster im unteren Geschoß Licht auf, und ich sagte mir, geh hin und klopf, vielleicht findest du jemanden, den du fragen kannst, aber dann kamen mir Bedenken. Ich grübelte noch darüber nach, was ich tun sollte, als sich eine niedrige Tür öffnete, die am Fuße eines
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