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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrich Tukur
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hohen Turms eingelassen war, und ein Mann heraustrat, vom Alter gebeugt, bärtig, mit schütterem Haar, in der rechten Hand eine Stallaterne, von einer Kerze erleuchtet.
    Ich sagte, Monsieur, verzeihen Sie, daß ich hier eingedrungen bin, aber ich habe mich verfahren und so weiter. Er hob die Laterne in mein Gesicht, als wäre sie der Mond, und sah mich an, ohne etwas zu erwidern, dann winkte er mir, ihm zu folgen.
    Wir gingen zurück durch die Tür und kamen in ein Gewölbe aus roten Ziegelsteinen, eine riesige Küche mit Kamin, in dem ein Feuer loderte. Davor lagen zwei Hütehunde, der eine so hinfällig, daß er sich kaum aufrichten konnte.
    An den Wänden hingen Jagdtrophäen aus unvordenklichen Zeiten, Hirschgeweihe, der imposante Kopf eines Wildschweins, ausgestopfte Vögel und zerlumpte Pelztiere, die schon eine halbe Ewigkeit ihre spitzen, gelben Zähnchen bleckten.
    Alles war vollgestellt mit Gerümpel, verstaubten Möbeln, schmutzigem Geschirr, land- und hauswirtschaftlichen Geräten – ein unglaubliches Durcheinander.
    Der alte Mann zeigte auf einen riesigen Holztisch im hinteren Teil des Raumes, auf dem Würste, Käse und altes Brot herumlagen, und lud mich mit einer knappen Handbewegung ein, dort Platz zu nehmen.
    Ich fragte ihn, ob er der Besitzer des Schlosses sei.
    Ohne zu antworten, schlurfte er zu einem defekten Kühlschrank, der mit offener Tür in einer Ecke stand und so gar nicht in diese Umgebung paßte.
    ›Sie haben sich also verirrt, junger Mann‹, sagte er plötzlich, und seine Stimme klang ganz anders, als ich es erwartet hatte.
    Sie war leise, trotzdem fest und überraschend hoch.
    ›Nun, Sie sind gewiß nicht der erste. Wenn man bis hierhergekommen ist, dann ist es schwer, wieder zurückzufinden … Nehmen Sie einen tüchtigen Schluck! Selbstgebrannt, so wie ihn der Major selig liebte …‹
    Er stellte eine Flasche Schnaps auf den Tisch, die er dem Vorratsschrank, der einmal ein Kühlschrank gewesen war, entnommen hatte.
    ›Ich lebe in der dreizehnten Generation auf Montrague, müssen Sie wissen. Nach mir kommt nur noch mein Sohn, und der hat gewiß nicht die Kraft, das Erbe der Marquis von Montrague fortzusetzen, in dieser Welt und dieser Zeit. Nein, sicher nicht. Er hat sich nie für uns interessiert, er liebte einzig und allein den Major.
    Sie sollten sich vor ihm hüten … vor Amadé, meinem Sohn, meine ich.
    Der Major ist schon vor vielen Jahren freiwillig in den Tod gegangen. Wir haben ihn in unserer Familiengruft beigesetzt …
    Trinken Sie noch einen Schluck. Wollen Sie vielleicht etwas essen? Sie werden heute nacht hier schlafen, ich zeige Ihnen gleich Ihre Kammer, und morgen früh sollen Sie erfahren, wie Sie in Ihre Welt zurückfinden … Wohin waren Sie überhaupt unterwegs?‹
    Ich wollte ihm eben antworten, als ich ein merkwürdiges Geräusch vernahm.
    Ich dachte erst, es wäre der Nachtwind, der durch die offenen Fenster in die dunklen Räume des oberen Stockwerks fuhr und die großen Kristallüster zum Klingen brachte.
    Aber dann vernahm ich Musik, die leise durch die alten Säle und Korridore wehte und wie flüssiges Silber über die Treppen rann, bis tief zu uns hinunter ins Küchengewölbe.
    Der Marquis richtete sich mühsam auf, öffnete die Tür rechts vom Kamin und horchte einen Moment ins Dunkel hinein.
    Die Musik war jetzt besser zu hören und betörend schön.
    Er seufzte und setzte sich wieder zu mir an den Tisch.
    ›Ach, Amadé ist wieder im Spiegelsaal … Dort ist er oft in letzter Zeit und spielt auf dem alten Cembalo.
    Der Major hat es ihm beigebracht, er spielte wunderbar Klavier, o ja, er war der Schüler einer berühmten Pianistin, die den Namen eines napoleonischen Marschalls und das Gesicht Beethovens gehabt hat, sehr groß soll sie gewesen sein und weißhaarig wie der alte Liszt.‹
    Er machte eine Pause, als blickte er in die Vergangenheit wie in ein fernes, blühendes Land.
    Ich sah ihn lange an, er hatte wache, schöne Augen unter buschigen Brauen.
    ›Das Instrument hat Marie-Élisabeth de Courtils gehört‹, hob er wieder an, ›der Gemahlin des sechsten Marquis von Montrague, der 1792 keine Gnade vor dem Pariser Revolutionstribunal fand und seinen Kopf unter dem Fallbeil verlor.
    Sie hat sich retten können, denn sie war eine ungewöhnliche Frau und Cembalovirtuosin. O ja, sie war berühmt und wurde mit ihrem Partner, dem italienischen Geiger Vialli, an vielen Höfen Europas gefeiert!
    Salette, der Präsident des Conservatoires von
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