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Die Soldaten

Die Soldaten

Titel: Die Soldaten
Autoren: Tobias O. Meißner
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in seinem Herzen, das gefallene, verseuchte alte Mädchen, Perle der Sturmsee. Zum Scheiterhaufen verwelkt. Kindergrab.
    Seit dem letzten Hochsommer war jeder Atemzug in Chlayst ungesund gewesen. Ein Sumpf in unmittelbarer Nähe der Stadt hatte begonnen, giftiges Gas auszudünsten. Panik hatte die Menschen erfasst. Das sorgsam in ihnen verschlossene Böse hatte begonnen, sich offen zu brüsten. Männer hatten sich um Brot erschlagen. Frauen sich gegenseitig die Kinder entrissen, weil ihre eigenen krepiert waren. Selbst bei der Garde hatte es einige gegeben, die sich am Zusammenbruch der Stadt zu bereichern trachteten. Händler aus anderen Städten verscherbelten minderwertige Hilfsgüter und strichen hohnlachend Gewinne ein. Der Leutnant hatte versucht, diesen Stall ausmisteten, den Sumpf trockenzulegen, die Stadt zurückzugewinnen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Toten zu Haufen zusammenzukehren. Er hatte sich übernommen. Seinen 32. Geburtstag hatte er im Lazarett verbracht, umringt von anderen, die noch viel schwerer vergiftet waren als er und starben, während er von den Kindern albträumte.
    Jetzt ging es ihm schon wieder besser, und als das Gesuch von der Festung Carlyr eingetroffen war, einen mit der Ausbildung neuer Rekruten vertrauten Unteroffizier zu überstellen, hatte der alte Hauptmann ihm diesen Auftrag zugeschanzt. Als Urlaub sozusagen. »Atme, mein Junge, atme.«
    »Aber die Heugabelmänner !«
    Denn nun gab es auch noch die Heugabelmänner . Eine stets größer werdende Bande von Gesetzlosen, die sich im Gebiet von Chlayst und Furbus breitmachten und sich in Furbus bereits mit königlichen Truppen angelegt hatten. Der Leutnant hatte das deutliche Gefühl, dass der Königin der Kontinent langsam, aber sicher aus den Händen glitt. Eine kostbare Kristallschale in freiem Fall. Denn auch im fernen Westen, in Skerb, widersetzten sich die Freibeuter den Dekreten aus der Hauptstadt. Und der große Feldzug gegen die Affenmenschen war im Norden, in der Gegend der Festung Carlyr, verloren gegangen.
    »Die Heugabelmänner «, hatte der alte Hauptmann gelächelt, »sind kein Problem einer Stadtgarde, mein Junge. Die Königin wird Truppen schicken, und dann wird das erledigt.«
    Aber welche Truppen? Wenn die Festung Carlyr schon bis nach Chlayst schicken musste, um einen geeigneten Offizier zu finden? Welche Truppen gab es denn überhaupt noch? Wenn es seine Aufgabe war, eine neue zu gründen?
    Der Leutnant verfluchte seinen Befehl.
    In den Nächten schlief er buchstäblich auf seinem Säbel. Man hatte ihm eingeschärft, dass sich die Affenmenschen und anderes Ungetier seit dem Fehlschlagen des großen Feldzuges vermehrt in den Außenbereichen der Felsenwüste herumtrieben. Er wollte keine unliebsamen Überraschungen erleben. Also nutzte er die Klinge seines Säbels, um sich selbst einen leichten Schlaf zu verschaffen. Seine Erschöpfung hätte ihn sonst vielleicht in Träume sinken lassen, und aus Träumen war schon so mancher nicht mehr erwacht.
    Auch lauerten in den Träumen die Kinder.
    Der Magen des Pferdes rumorte in den Nächten. Das Tier scharrte mit den Hufen, sodass der Leutnant mehrmals aufschreckte und dachte, jetzt würden gleich Affenmenschen über ihn herfallen.
    An jedem frühen Morgen schimmerte alles Gestein feucht. Aber auch dieser Tau war wie ein Trugbild. Er löste sich schon im Laufe des Vormittags zu scharfkantiger Trockenheit auf.
    An den Mittagen schien die Königin des Himmels wie festgenagelt über ihm zu schweben und ihn zu verhöhnen. Das Pferd warf nur einen winzigen Schatten, tief unter seinem äderigen Bauch. Einmal fragte sich der Leutnant, ob er nicht lieber unter seinem Pferd reiten sollte, in diesem winzigen, wohligen Schatten, aber das war natürlich Unsinn, das war die Hitze, die seinen Helm zum Glühen brachte und sein Gehirn darunter zum Sieden. Aber ohne den Helm war es noch schlimmer. Ohne den Helm schienen seine dunklen Haare im Licht Feuer zu fangen.
    Sein Bart kratzte. Seine Arme und Beine juckten. Seine breitschultrige Gestalt flimmerte wie Wasser. Das Pferd stieß ihm hart ins Kreuz bei jedem Hufschritt. Er hasste es, reiten zu müssen. Es war zu heiß für diese Jahreszeit.
    Denn es war noch nicht einmal Feuermond. Man hatte den 4. Sonnenmond geschrieben, als er von Ferbst aus losgeritten war. Nun musste ungefähr der 10. sein. Spätestens zu Mittelsonne sollte er die Festung erreichen, so lautete seine Order. Aber vielleicht war das ja gar
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