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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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umschlang sie wie die ehernen Bande, mit denen er sie geschmückt hatte, während sein Sieg zu Asche verbrannte. Er erkannte den Tod in seinem Herzen. Sie hatte ihm das schon einmal angetan, aber damals war er ein Kind gewesen und hilflos. Nicht länger, nicht mehr. Sie wehrte sich nicht, als er seine Hände um ihre Kehle legte.
    »Was hindert mich daran, dich jetzt zu töten?« hörte er seine rauhe, gebrochene Stimme fragen.
    »Nichts«, erwiderte sie.
    Das Pochen ihrer Schlagader unter seinen Händen war das einzige, was er spürte. Sonst rührte sich nichts an ihr. Sie standen so nahe beieinander wie vor einigen Augenblicken, als er sich so lebendig wie noch nie zuvor gefühlt hatte, doch die Frau vor ihm war versteinert, so unerreichbar wie eine Statue, überzogen mit einer schützenden Schicht aus Eis.
    »Romulus«, sagte jemand, den er kennen sollte, aber das Begreifen ließ ihn im Stich. »Romulus, das reicht. Hör auf. Laß sie los.«
    Er bewegte sich nicht, bis zwei Hände ihn von hinten unter den Achseln packten und von ihr fortzogen. Gleichzeitig fing die Zeit wieder an, in ihrem gewohnten Flußbett zu fließen, und er wurde sich dessen bewußt, was geschah, daß sie nicht länger allein waren. Mit einiger Mühe drehte er den Kopf über die Schulter und sah in das kreideweiße Gesicht seines Bruders. Diesmal konnte er das Gelächter nicht mehr zurückhalten; es überfiel ihn, schüttelte seinen Körper und ließ ihn halbwegs zu Boden sinken, ehe Remus ihn wieder emporzog.
    »Komm«, sagte Remus und brachte es irgendwie fertig, gleichzeitig grimmig und hilflos zu klingen, »komm fort von hier. Du willst doch nicht, daß sie dich weinen sieht.«
    Nur Remus konnte Lachen mit Weinen verwechseln, dachte Romulus, bis ihm die Feuchtigkeit auf seinen Wangen auffiel und die Tränen, die sich aus seinen Augen preßten wie das entsetzliche Schluchzen aus seiner Kehle.
    »Schon gut«, sagte eine vierte Stimme. »Bleib hier mit ihm. Wir werden gehen.«
    Diesmal brauchte Romulus nicht den Kopf zu wenden, um Ulsna zu erkennen. Ein Teil von ihm registrierte, daß der Barde seit ihrer letzten Begegnung irgendwo ein Männergewand aufgetrieben haben mußte. Er wirkte wie immer, ein hagerer, unauffälliger Mann, den sein langes Haar als einen der Tusci kennzeichnete, selbst wenn ihm der Bart fehlte. Etwas in Romulus erinnerte sich, daß er Haß empfinden sollte, als Ulsna an ihm vorbeitrat und einen Arm um die Schulter der Frau legte, die so bleich wie Remus war. Doch er brachte es nicht fertig; sie mußte den Haß aus ihm herausgesogen haben mit ihrem Kuß, und die Tränen, die sich in seine Haut fraßen, waren die letzten Reste, die ihr nachliefen.
    »Ilian«, sagte Ulsna leise, und sie zuckte zusammen. Dann senkte sie ihren Kopf und verließ mit Ulsna das Zimmer. Jeder ihrer Schritte preßte den Stachel seiner Niederlage noch tiefer in sein Herz.
    »Wieviel... hast du... gehört?« stieß er schließlich hervor, mehr um dem jämmerlichen Keuchen ein Ende zu machen, das er von sich gab, als aus einem anderen Grund.
    »Genug.« Remus schluckte, dann lockerte er seinen Griff etwas, um Romulus zu einer der Sitzliegen zu führen. »Mach dir keine Sorgen«, fuhr er fort und bugsierte Romulus ungeschickt wie ein Kind auf die Liege. »Wir stehen das gemeinsam durch. Ich werde dich nie mehr allein lassen, Bruder.«
    Es sollte ein Trost sein, ein Versprechen. Doch für Romulus war es die endgültige Besiegelung seines Schicksals.

    Es gehört zu Remus’ grundsätzlicher Natur, aus allem das Beste zu machen, selbst in den schwierigsten Lagen. Da ihm das sogar in der Erschütterung gelungen war, die seinerzeit der gewaltsame Abschied von Vater und Bruder hinterlassen hatte, da selbst das Weh um Prokne verblaßt war, hätte er nicht geglaubt, daß einmal ein Ereignis eintreten könnte, mit dem er nicht fertig wurde.
    Das Nachspiel von Alba belehrte ihn eines Besseren.
    Eine der großen Schwierigkeiten lag darin, daß er sich nicht gestatten durfte, auf Romulus zornig zu sein, obwohl alles in ihm danach schrie. Romulus hatte es fertiggebracht, all ihre Bemühungen und den Tod des... Thronräubers einem unbekannten alten Mann zu schenken, und es gab keine Möglichkeit, dies wieder rückgängig zu machen, nicht in einer Stadt, in der die »Gesandtschaft« aus Tarchna das ihnen ohnehin nicht eben freundlich gesonnene Heer der Albaner mit weiteren Truppen verstärkt hatte. Aber Romulus war krank, und seine Krankheit war von dem Menschen,
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