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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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Form ihres Mundes nach.
    »Das war dein Fehler«, erklärte er. »Zu glauben, ich wolle die Macht mehr, als ich dich zerstören will, wenn ich erst einmal begriffen hätte, wie ich es kann. Durch das, was dir wichtig ist, natürlich. Und hier ist mein zweites Geschenk. So ehrgeizig du auch bist, ich glaube dir durchaus, daß du damals nur das Beste für dein Volk wolltest. Du hast mich die Zeichen zu deuten gelehrt, und ich stimme dir zu. Eine Zeitenwende steht bevor. Aber du hast sie nicht aufgehalten oder zum Besseren gewendet durch das, was du getan hast. Ich werde König sein, Larentia. Nur nicht König von Alba, und ganz gewiß kein König der Tusci. Ich verabscheue euch, falls du das noch nicht begriffen hast. Ich werde mir hier meine Belohnung nehmen und dann mit meinen Leuten und jedem, der sich mir anschließen will, in das Grenzland ziehen, um meine eigene Stadt zu gründen. Und glaube mir, ich werde meine Untertanen lehren, nichts so sehr zu verachten wie die Tusci. Es mag dauern, vielleicht ein ganzes neues Saeculum lang, vielleicht noch länger, aber am Ende werden wir die Herren sein und ihr die Diener. Mein Glückwunsch, Larentia. Du hast deinem Volk den Untergang gebracht.«
    Ihre Nägel gruben sich in seine Schultern, tief genug, daß er sicher war, blutige Spuren zu finden. Der Schmerz steigerte seine triumphierende Erregung nur noch.
    »Nun könntest du natürlich Mittel und Wege finden, um mich aufzuhalten. Mich zu töten, bevor ich den Raum verlasse. Ich bin nicht so töricht, dich in dieser Beziehung zu unterschätzen. Aber du wirst es nicht tun. Das ist mein drittes Geschenk, Mutter. Du hast deine eigene Lektion vergessen. Liebe schwächt, Haß macht stark. Ich habe dich dazu gebracht, mich zu lieben.«
    Mit dem letzten gesprochenen Wort hielt er inne, suchte und fand, worauf er gehofft hatte. Das Zerbrechen in ihren Augen, wie das plötzliche Auseinanderfallen von lange, lange brennenden Holzklötzen im Feuer, das Zerspringen in glühende Einzelteile, und er senkte seinen Mund auf ihren, um es ganz in sich aufzunehmen. Ihre Lippen öffneten sich, und es war alles, worauf er so lange gewartet hatte: Es war alles Verbotene, es war der dunkle Hunger, der keine Grenzen kannte, es war Verlust und Schuld und Wahnsinn, ohne die geringste Entschuldigung durch Ahnungslosigkeit, wie sie ihm die unwissende Antho dargeboten hatte. Und dann war es zu Ende.
    »Nein«, sagte sie.
    Er mußte irgendwann die Augen geschlossen haben, denn als er sich bewußt wurde, daß er sie nicht mehr in seinen Armen hielt, als ihre Stimme ihn in die Wirklichkeit zurückzerrte, war es nötig, sie zu öffnen.
    Sie war nur einen Schritt weit von ihm zurückgetreten, und ihr Geschmack war noch auf seinen Lippen, doch die Frau, die vor ihm stand, hatte sich ihm entzogen. Ihre Stimme klang kalt, doch nicht zornig, eingehüllt in den Hauch der Herablassung, an den er sich nur zu gut erinnerte.
    »Weißt du, was du bist, Romulus? Ein Schüler. Begabt, sehr begabt, aber immer noch ein Schüler. Du hast mir Alba weggenommen, soviel gestehe ich dir zu, und es ist dir wirklich gelungen, es auf die verletzendste Weise zu tun, die sich denken läßt. Doch was für eine Stadt du auch immer gründen willst, was kann sie anderes sein als die Fortführung dessen, was in dir steckt? Mein Erbe. Meines, nicht das von Faustulus, nicht das der Latiner. Du stammst von mir, alles, was du tust, stammt von mir, alles, was du je tun wirst, stammt von mir, und du hast es mir gerade bewiesen. Aber Liebe?«
    Sie lachte, trat noch etwas weiter zurück und begann um ihn herumzugehen, so wie er und Amulius sich umkreist hatten.
    »Du weißt nicht, was Liebe ist. Oh, ich verstehe durchaus, warum du geliebt werden willst. Sie läßt einen manchmal in der Nacht nicht schlafen, nicht wahr, die Erkenntnis, das man ein Ungeheuer ist. Aber wenn ein anderes Ungeheuer, ein Wesen, das einen durch und durch kennt, einen liebt, dann kann man so schlecht nicht sein, richtig? Nun, es tut mir leid, Romulus. Ich verstehe dich. Ich bewundere, was du aus dir gemacht hast, selbst wenn es mehr hätte sein können. Und ich habe zu lang allein gelebt, um nicht darauf einzugehen, wenn mich jemand in seine Arme nimmt. Aber Liebe? Ich kann Remus lieben, denn er ist mein Sohn. Ich liebe Ulsna, und Ulsna liebt mich, obwohl ich ihm wirklich genug Gründe gegeben habe, es nicht zu tun. Dich? Dich - benutze ich.«
    Das Schweigen zwischen ihnen pulsierte wie ein lebendiges Wesen,
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