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Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)

Titel: Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Autoren: Jane Johnson
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fangen sie erneut an, uns zu umkreisen.
    Die Berberlöwen gelten als die größten und kräftigsten Vertreter ihrer Spezies, und diese hier sind wirklich gewaltige Ungeheuer. Unter anderen Umständen könnte man sie als stattlich oder gar als edel bezeichnen, aufgrund ihrer gewaltigen Masse und schwarzen Mähne, des riesigen Kopfs mit den intelligenten, bernsteinfarbenen Augen. Berauscht von dem Geruch nach Blut aus der Wunde des Kaid und tagelangem Hungern konzentrieren sie all ihre Kraft und Intelligenz nun darauf, wie sie mit ihren fürchterlichen Reißzähnen Fleischklumpen aus unseren Körpern reißen können.
    Die Weibchen übernehmen die Führung. Riesige Geschöpfe mit weichem Fell und scharfen Augen. Sie sind kleiner als die beiden Männchen, doch was ihnen an Körpermasse und Mähne fehlt, machen sie mit ihrer Aggressivität und List wett. Zwei täuschen einen Angriff vor, stürmen auf uns zu und ziehen sich zurück, während ein anderes Weibchen sich von hinten anpirscht und sich mit untrüglichem Gespür denjenigen von uns auswählt, der ihr am wenigsten gefährlich werden kann. Ihre Zähne vergraben sich in Sharifs Arm. Der arme Kaid schreit vor Schmerz auf und wehrt sich nach Leibeskräften. Doch die Löwin ist ungleich stärker. Sie wirft den mächtigen Kopf auf die Seite und zerrt den Kaid mit sich, wir können nichts mehr tun, um ihn zu retten. Der Lärm ist entsetzlich – ein Reißen, Knirschen, Geschrei …
    Nun drängen sich die zwei Männchen vor und versuchen, die Weibchen zu vertreiben, woraufhin ein schrecklicher Kampf ausbricht. Während ich mich nach anderen Optionen umsehe, vibriert das Brüllen der Bestien in meiner Brust. Um die Grube herum hat man einen breiten Wassergraben gezogen, den die Tiere nicht überspringen können, und dahinter ist ein hoher Eisenzaun. Als man nach dem Vorfall im Sklavenverlies feststellen musste, dass die Bestien sich auch unter Zäunen hindurchgraben können, ist man nach mehreren vergeblichen anderen Methoden zu dem Schluss gekommen, dies sei die beste Art zu verhindern, dass die Raubtiere ausbrechen und ein Blutbad unter dem Palastpersonal anrichten, obwohl es den freien Blick der Zuschauer auf das Geschehen einschränkt. Normalerweise wirft man den Löwen nur arme Sklaven zum Fraß vor, doch jetzt, da vier angesehene Mitglieder der soeben aus England zurückgekehrten Gesandtschaft dran glauben müssen, hat sich eine große Menschenmenge versammelt. Alle drängen sich vor dem Zaun – Menschen, die ich seit einer Ewigkeit kenne: Mitglieder des Hofes, Beamte, Wachen, Stallknechte, Mundschenke und Sklaven, Adlige, Kaufleute, sogar die Herrscherin Zidana und ihre Söhne –, und alle wollen uns sterben sehen. Als ich beobachte, wie die Löwen den armen Sharif Stück für Stück zerfleischen, wird mir schlecht.
    »Schnell, laufen wir zum Graben!«, rufe ich ben Hadou zu und denke, dass unsere Chancen, den Löwen auf festem Boden zu entkommen, weitaus geringer sind als in dem riskanten Wassergraben.
    Die Verzweiflung verleiht ihm Kraft. Al-Attar legt seinen Arm um meine Schulter, und wir laufen auf den Graben zu. Wir erreichen ihn, noch ehe die Löwen aufhören, sich über die Reste zu streiten, die vom Kaid übrig geblieben sind. Rafik und ich schwimmen in rasender Eile durch den Wassergraben auf den Zaun zu. Als ich mich an der Eisenstange festhalte, blicke ich mich nach ben Hadou um, der am anderen Ufer das Wasser aufspritzt und eine entschlossene Löwin anschreit, die der Angst vor dem Wasser trotzt. »Ich kann nicht schwimmen!«, schreit er mir zu.
    »Pech gehabt«, höhnt Rafik. Dann hangelt er sich mit Armen und Beinen am Zaun hoch, schwingt sich über die spitzen Enden und lässt sich auf die sichere Seite fallen, zerkratzt und blutig, doch unversehrt.
    Ich zögere. Ich könnte mich genauso leicht wie Samir Rafik in Sicherheit bringen, doch die Art und Weise, wie der arme Kaid zerfleischt wurde, hat sich auf entsetzliche Art in mein Gedächtnis eingebrannt, dabei kannte ich den Mann kaum. Mit al-Attar verbindet mich erheblich mehr, auch wenn ich ihn nicht immer mochte. Wie könnte ich reinen Gewissens weiterleben, wenn ich zuließe, dass er von einer Löwin in Stücke gerissen wird? Dabei wünschte ich mir noch vor einer Stunde den Tod. Und jetzt beschließe ich plötzlich, dass ich doch lieber weiterleben möchte, auch ohne den Weißen Schwan. Ich atme tief ein und rufe den Geist der Senufo an. Meine Maske, den kponyungu .
    Ich hatte meine Initiation
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