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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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bei dir ist.«
      Traquandi machte einen gewaltigen Satz und umklammerte nervös, mit schweißnassen Händen das Gewehr.
      »Verdammt noch eins, wie weiß der bloß, daß ich hier bin? Die Sache kommt mir langsam ziemlich faul vor.«
      »Ruhig, ruhig!« entgegnete ihm Decu. »Wenn der weiß, daß du dich hier mit mir versteckt hältst, wissen es auch die im Polizeipräsidium in Montelusa.«
    Mit einem Schlag begriff Traquandi, was Sache war.
      »Du willst mir also sagen, daß der da draußen ein Sbirre ist?«
    »Ja, aber in erster Linie ist er mein Vetter.«
    »Was soll das heißen, in erster Linie?«
      »Das heißt nichts weiter. Nur daß es bei uns noch eine Bedeutung hat.«
    »Seid doch vernünftig«, kam es von draußen. »Wenn ich euch hätte fassen wollen, hätte ich das längst getan. Ihr schlieft ja selig wie die Engelchen. Selbst wenn ich die Absicht hätte, euch zu verhaften, könnte ich es nicht tun. Ich bin nämlich unbewaffnet. Und außerdem, Decuzzo,
      Auf der Schwelle stand ein Mann von mächtiger Statur und hatte die Arme erhoben. In der Rechten hielt er eine Laterne, die ihm in sein derbes Gesicht leuchtete, das eines herzensguten Mannes, wohlgesinnt gegenüber der Welt in ihren mannigfachen Erscheinungsformen – Mensch, Pflanze und Tier.
      »Sei gegrüßt, Decuzzo«, sagte er lächelnd. »Darf ich hereinkommen?«
      Decu antwortete nicht, trat aber zur Seite, um ihn einzulassen. Der Römer erwartete den Neuankömmling hinten an der Wand stehend und die Flinte auf ihn gerichtet. Aber der Sbirre schien sich nichts weiter daraus zu machen. Er stellte die Laterne auf der Erde ab und setzte sich auf einen Stuhl daneben. Der Lichtschein fiel nur auf ihn und sein lächelndes Gesicht und ließ die anderen im Schattenkegel, beinahe als Demonstration, daß er nichts zu verbergen hatte.
    »Und was gibt es?« fragte Decu.
      »Das ist eine verwickelte Angelegenheit«, meinte Girlando, »schwierig zu erklären und zu verstehen.«
      »Willst du mich etwa verarschen?« schoß Traquandi brutal heraus, der das Zeremoniell nicht begriffen hatte.
      »Nein«, erwiderte der Polizist und hob die Hände in die Höhe. »Nein, im Gegenteil.«
    »Dann erklär mal genauer, Cousin!«
    »Decu, bist du nervös, bin ich es auch. Wenn meine
    werden soll. Es gelingt ihm auch, und er hat alle gegen sich. Die Opernaufführung endet erwartungsgemäß als totaler Reinfall. Sind wir uns darin einig?«
      »Sind wir«, meinte Decu verwundert, weil sein Vetter so um den heißen Brei herum redete, und begriff nicht, worauf er hinauswollte.
      »Was geschieht also?« fuhr der Polizist fort. »Zwei Stunden nach dem Riesendurcheinander kehrt wieder Ruhe ein, und das Theater geht in Flammen auf. Und das ist das Seltsame an der Sache.«
      »Warum?« schaltete sich Traquandi ein. »Das Feuer braucht doch seine Zeit, um sich auszubreiten. Wenn jemand im Gewühl eine Zigarre hat fallen lassen …«
    Girlando unterbrach ihn mit einem strengen Blick.
      »Ich habe hier keine Zeit zu verlieren. Wenn wir uns gegenseitig mit der Geschichte von der Zigarre auf den Arm nehmen wollen, dann verzeiht, aber ich gehe.«
    »Mach weiter«, brummte Decu.
    »Wir Vigateser sind weit und breit dafür bekannt, daß wir zu den schlimmsten Sachen in der Lage sind. Aber nur in der Hitze des Gefechts, von Angesicht zu Angesicht. Niemals würden wir so was machen: zwei Stunden später und in aller Ruhe fällt einem ein, daß er ja noch was vergessen hat, und zwar das Theater anzuzünden. Wir überlegen es uns hinterher nicht anders, wie es die Hornochsen halten. Das ist der Grund, weshalb das
      »Laut Puglisi war es der Mazzini-Anhänger aus Rom, der seit vier Tagen im Dorf ist.«
    »Ich?« sagte Traquandi forsch.
      »Sie, ja«, erwiderte Girlando und blickte ihn unverwandt an.
      »Selbst wenn es so wäre, wie könnte Puglisi das beweisen?« fragte Decu.
      »Wenn es ihm gelingt, den Herrn hier vor mir zu packen«, sagte der Polizist, »bringt er ihn bestimmt zum Reden, da kannst du die Hand ins Feuer legen, ins selbe, in dem das Theater abgebrannt ist.«
      Er tat einen Seufzer, steckte sich an der Flamme der Öllampe eine Zigarre an und genoß es, die zwei in ihrem eigenen Saft schmoren zu lassen.
      »Doch ich bin anderer Meinung«, verkündete Girlando nach dem ersten Zug aus der Zigarre, während er der Rauchwolke hinterher sah.
      Diese Worte waren für die zwei wie das Treibholz, an das sich die Ertrinkenden
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