Die sizilianische Oper
eines langen Flurs, ob er ihn hatte vorbeikommen sehen, doch dieser verneinte. Er machte zwei, drei Zimmertüren auf und steckte den Kopf hinein. Doch ohne Erfolg. Fluchend kehrte er in den Saal zurück und ging zum Marchese, der der Torwächter hatte hoch und heilig geschworen, daß er ihn nicht hatte hinausgehen sehen. Mit Lampen, Kerzen, Leuchtern und Lichtern ausgerüstet suchten sie stundenlang nach ihm, stiegen in die Kellerräume hinunter und kletterten in die Dachkammern. Sie brachten die ganze Nacht mit Suchen zu, auch weil der Marchese für Mitternacht wohlweislich einen kleinen Imbiß vorgesehen hatte: Spaghetti mit Schweinefleisch und danach vier Zicklein aus dem Ofen. Wie sehr sie sich auch bemühten, vom Rektor gab es nicht die mindeste Spur. Seitdem er den Musiksaal verlassen hatte, war und blieb er verschwunden.
»Wenn der seinen Rausch ausgeschlafen hat, wird er schon wiederkommen«, lautete die Schlußfolgerung des Marchese bei Morgengrauen.
Seine Vorhersage erwies sich als falsch. Der Rektor Artidoro Carnazza tauchte nie wieder auf. Jemand sah ihn, oder glaubte das zumindest, in einer Schenke in Palermo, wo er Horazsche Verse vor Leuten aufsagte, die noch mehr dem Wein verfallen waren als er selbst. Die Baronin Jacopa della Mànnara schwor, ihn zwischen den Ruinen des Theaters von Taormina gesehen zu haben, wie er, eine Krone aus Weinlaub auf dem Kopf, mit lauter Stimme Verse von Catull deklamierte. Fest steht nur eines, daß seine Ehefrau sich ein paar Jahre später einen Totenschein ausstellen ließ und in den Witwenstand treten konnte. Nach der Trauerzeit heiratete sie einen Neffen Seiner heimgesucht – im Gegensatz zu Vigàta, das mehrfach bombardiert wurde. Im Laufe dieses mehr oder weniger kriegerischen Geschehens wurde der Palazzo Coniglio zur Hälfte zerstört. Kaum hatten die Sirenen Entwarnung gegeben, eilten die Helfer herbei und eilten in alle Ecken und Winkel auf der Suche nach möglichen Opfern oder Verletzten. Unter ihnen war auch so mancher, der ein ernsthaftes Interesse hatte, einige der vermeintlich märchenhaften Schätze des Palastes mitgehen zu lassen. Auf dem Speicher im westlichen Flügel, der wie durch ein Wunder heil geblieben war, fand man im Innern einer Truhe ein männliches Skelett im Festanzug. Da keine Spur von Gewaltanwendung zu entdecken war, mußte die Todesursache mit Sicherheit eine natürliche gewesen sein.
Es handelte sich um eine ganz spezielle Truhe: sie konnte zwar von außen geöffnet werden, doch war sie einmal ins Schloß gefallen, sprang eine Feder auf, die es unmöglich machte, die Truhe von innen zu öffnen. Wer sich auch nur zum Scherz hineinlegte, kam aus eigener Kraft nicht mehr heraus. Neben den sterblichen Überresten fanden sich ein paar Papierblätter, auf denen ganz schwach noch einige unverständliche Worte zu lesen waren. Mühsam entzifferte man einen Namen: den eines gewissen Luigi Picci oder Ricci, wie auch immer.)Turiddru Macca, der Sohn von Donna Nunzia, von Beruf Hafenarbeiter, hatte sich, wie er es schon seit Jahren tat, bei Einbruch der Dunkelheit, gleich nach dem Abendläuten, schlafen gelegt. Er war wie erschlagen von der Arbeit. Über zweihundert Säcke mußte er täglich auf den Schultern vom Kai zum Segelschiff schleppen. Noch keine sechs Stunden hatte er geschlafen, als er von einem heftigen Klopfen an der Tür der ebenerdigen Behausung, vier mal vier Meter groß, die nur durch ein kleines Fenster neben der Tür Licht bekam, geweckt wurde. Hier lebte er mit der ganzen Familie.
»Turiddru Macca!«
Erschrocken fuhr er aus dem Bett hoch und wollte sich mit einer Hand auf die Matratze stützen, traf statt dessen aber das Gesicht seines Sohns Pasqualino, der im Schlaf jammerte. Das Pochen wurde heftiger.
»Turiddru Macca!«
Turiddru streckte die Beine aus, um aufzustehen, aber jetzt versetzte er seiner Tochter Annetta einen Stoß, so daß sie aus dem Bett plumpste. Sie war an solche Stürze gewöhnt und krabbelte ohne die Augen zu öffnen wieder ins Bett zurück. Das Klopfen an der Tür hielt an und ließ keine Zeit zum Überlegen. Turiddru stieg aus dem Bett, wobei er die Füße auf die Leber seines Sohns Minicuzzo stellte, der auf dem Boden schlief. Im Dunkeln tappte er Richtung Fenster und wäre beinahe über seinen Sohn Antonio gestolpert, dessen Bett ein Strohsack war. das bloß sein zu dieser Unzeit?«
»Ich weiß es nicht. Sei still und schlaf«, fuhr Turiddru sie an, der in der Zwischenzeit nervös
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