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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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Richter der Stadt verlas das Urteil. Als er den letzten Satz gesprochen hatte, brach die Menge in Jubel aus. Wieder flogen Unrat und stinkende Eier. Selbst der Henker entging nur knapp einem Geschoss.
    Die Knechte führten den Mann unter den Galgen. Der Henker legte ihm den Strick um den Hals.
    Johann von Schleußig stand dabei.
    «Bereut Ihr Eure Tat?», fragte er.
    Der Mann nickte. Er erhielt einen letzten Segen, dann betätigte der Henker einen Hebel, die Falltür unter dem Mann tat sich auf, der Strick spannte sich, und die, die ganz vorn standen, konnten hören, wie das Genick mit einem leisen Krachen brach.
    Der Mann zappelte ein letztes Mal, riss den Mund auf, dann war er tot. Im Sterben ließ er alles von sich. Kot lief ihm unten aus den Beinkleidern heraus und rann auf die Holzdielen.
    Die Menge schrie auf. Einige hielten sich die Nase wegen des Gestanks zu. Andere johlten. Einer warf dem Gehenkten einen Haufen Kot ins Gesicht.
    «Eine unwürdige Art zu sterben», sagte Eva und sah ihren Mann an. David war bleich wie eine frisch gekalkte Wand.
    Als er Eva am Arm packte, spürte sie, dass er zitterte. «Komm weg hier», forderte er, und dieses Mal ließ Eva sich mitziehen.
    Sie waren die Ersten, die wieder zu Hause waren. Für die anderen ging das Spektakel jetzt erst richtig los. Man fand sich in Gruppen zusammen und besprach jeden Wimpernschlag des armen Tropfes, der da nun hing und die Hosen voll hatte.
    «Hast du mit ihm gefühlt?», fragte Eva.
    Sie standen im Korridor vor Evas Kammer.
    David musterte sie von oben bis unten, dann packte er sie bei den Schultern und drängte sie in die Kammer. Er stieß sie auf das Bett, beugte sich über sie und zischte dicht vor ihrem Gesicht: «Die Franzosenkrankheit herrscht in der Stadt. Jeden Tag kommen neue Erkrankte hinzu. Alle anderen haben Angst. Sünde und Fluch schwebt über allen Köpfen. Die Prediger reden von nichts anderem mehr. Und so mancher kauft für den letzen Groschen Ablasszettel. Keine gute Zeit für Männer, die Männer lieben. Sie sind es ja, die die Sünde in die Welt bringen. Was meinst du wohl, Eva, wem man mehr glauben wird? Einem Medizinstudenten, der mit geheimnisvollen Mitteln in einem dunklen Keller herumexperimentiert und sich ansonsten der widernatürlichen Unzucht hingibt, oder einem achtbaren Silberschmied mit ehrlichen Papieren? Ich habe sogar eine Zeugin für Adams sündiges Treiben.»
    «Was soll das?», keuchte Eva.
    «Das fragst du noch? Entweder du gehorchst mir wieder und kehrst in das gemeinsame Schlafzimmer zurück, oder Adam wird hängen wie der arme Tropf da draußen.»
    Mit einem Ruck stieß Eva David weg. Sie lief zum Fenster, öffnete es und ließ den Lärm vom nahen Markt herein.
    «Wenn du Adam an den Galgen bringst, David, so wirst du neben ihm hängen. Das ist mein voller Ernst, das kannst du mir glauben.»
    Sie wühlte in ihrer Tasche und brachte den Siegelring Andreas Mattstedts heraus. «Mag Adam ein Sodomit sein, du aber bist ein Mörder.»
    David starrte den Ring an. «Woher hast du ihn?»
    Eva lachte. «Adam wird leben, David. Das schwöre ich bei Gott. Es ist mir egal, wen er liebt. Man kann es sich ohnehin nicht aussuchen. Oder meinst du vielleicht, ich hätte dich immer gern geliebt? Ich habe dich geliebt, aber Gott weiß, wie oft ich mir gewünscht habe, es nicht zu tun.»
    Sie schwieg, sah zu Boden und war plötzlich von Traurigkeit erfüllt.
    «Ich hatte mir ein anderes Leben gewünscht, David. Die Liebe sollte darin die Hauptsache sein. Nun gibt es keine Liebe mehr. Du bist der Mörder Andreas Mattstedts. Du weißt es, und ich weiß es. Lass Adam in Ruhe, dann werde auch ich nichts sagen.»
    David schüttelte den Kopf, breitete die Arme aus, wollte so auf sie zugehen.
    «Bleib stehen», rief Eva. «Komm keinen Schritt näher. Ich ertrage deine Beschwörungen und Erklärungen nicht mehr. Ich will leben, David. Leben als die, die ich bin. Geh jetzt.»
    Sie wandte sich ab, lehnte sich aus dem Fenster und beachtete David nicht mehr. Er wartete, doch als sie sich nicht mehr rührte, verließ er mit schleppenden Schritten das Zimmer.
    Eva drehte sich nachdenklich um. Ich muss mit Adam sprechen, beschloss sie, und machte sich auf den Weg ins Laboratorium. Zu ihrer Überraschung war Adam überhaupt nicht erstaunt, er schien etwas geahnt zu haben.
    «Ich habe Furcht um dich, Eva», sagte Adam und griff nach ihren Händen. «Vor mir und meinem Wissen braucht David keine Angst zu haben. Wir sind uns gegenseitig
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