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Die Silberschmiedin (2. Teil)

Die Silberschmiedin (2. Teil)

Titel: Die Silberschmiedin (2. Teil)
Autoren: Ines Thorn
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Tochter eilten gemeinsam die Krämergasse hinunter, die Magd keuchte hinterdrein. Sie überquerten den Römer, hasteten am Bartholomäusdom vorbei und hatten endlich das Mainufer erreicht.
    Die halbe Stadt hatte sich bereits versammelt.
    Energisch bahnte sich die Mutter mit ihren Ellbogen einen Weg durch die dicht gedrängte Menge. Eva und die Magd folgten ihr.
    Als Eva die Tote sah, schrie sie leise auf. Sie war nackt und vollkommen haarlos. Die Beine waren schlank und fest, die Scham sah so unschuldig aus wie bei einem kleinen Mädchen.
    Ihr Leib war jung, gerade erst erblüht und ohne Zeichen des Welkens.
    Über dem Gesicht aber prangte eine silberne Maske.
    Eva und die Mutter standen starr. Auch den anderen Schaulustigen hatte es die Sprache verschlagen. Stumm machten sie der Stadtwache Platz, die mit umgehängten Hakenbüchsen nach vorn drängte.
    Selbst diese beiden Männer waren für einen Augenblick wie gelähmt. Dann aber erinnerte ein Donnergrollen an das bevorstehende Gewitter. Ein Wachmann beugte sich über die Tote und löste vorsichtig die Maske vom Gesicht. Die Umstehenden stöhnten auf. Was zum Vorschein kam, hatte keine menschlichen Züge mehr. «Die Fratze des Teufels», keuchte die Magd und bekreuzigte sich.
    Anstelle von Augen sah man nur dunkle Löcher. Die Haut hing in Fetzen und entblößte das Fleisch, die Lippen waren verbrannt und gaben die Zähne frei. Ihr Haar aber war grau wie das einer alten Frau und stand in einem schmerzhaften Widerspruch zu ihrem jungen Leib.
    Voller Grauen wandte Eva den Blick ab. Sie musste ein Würgen unterdrücken.
    «Es scheint, als hätte tatsächlich jemand ihr Gesicht mit heißem Silber überzogen. Oder einen Abdruck von Ton genommen und ihn direkt auf der Haut gebrannt», stellte ihre Mutter fest. «Sie muss unendliche Schmerzen dabei gelitten haben. Das Blut hat ihr sicher in den Adern gekocht, falls sie noch gelebt hat, und die Augen sind ihr in den Höhlen geschmolzen.»
    Eva schüttelte den Kopf. «Wer tut so etwas? Das kann kein Mensch gewesen sein!»
    «Das Ende der Welt ist nahe», vermutete die Magd. «Die ersten Boten des Satans mischen sich unter das Volk und verüben ihre grausigen Werke. Besonders vor einem Unwetter, ich sage es ja.»
    Sie nickte zufrieden und ließ den Rosenkranz durch ihre Hände gleiten. Jetzt würde die Herrin bestimmt nicht mehr von ihr verlangen, dass sie vor dem Gewitter noch die Wäsche holte.
    «Wie kann so etwas passieren?», fragte Eva fassungslos. Sie betrachtete das Mädchen, das sehr schön gewesen sein musste und dem die silberne Maske, die der Wachmann wieder zurückgelegt hatte, nun etwas Königliches verlieh.
    «Wie ist sie nur in diese Lage gekommen?»
    «Tja, wie ist die Maid da wohl hingeraten?», wiederholte die Magd Evas Frage. «Sie wird sich wohl mit einem Burschen herumgetrieben haben, einem Satansjünger. Mit ihren festen Brüsten wird sie gewippt haben, wenn er in der Nähe war, den Hintern wird sie geschwenkt haben, wenn er hinter ihr ging. So lange, bis ihm der Sabber aus dem Mund lief. Als er sich dann holen wollte, was ihm zustand, hat ihm das Mädchen eine Abfuhr erteilt. Auch der Satan ist ein Mann, der zum Knüppel greift, wenn ihm die Frau nicht zu Willen ist. Ihre Unschuld hat sie bewahren wollen, so wie es Gott will, das gute Kind. Sie ist lieber in den Tod gegangen, als mit dem Teufel zu buhlen.»
    «Schluss jetzt!», unterbrach Sibylla das Geschwätz. «Du gehst zurück und holst die Wäsche. Sofort!»
    Die Magd setzte zu einer Antwort an, doch als sie Sibyllas Blick sah, machte sie sich wortlos auf den Weg.
    Eva aber starrte noch immer auf die Tote.
    «Eines ist gewiss: Wer immer das Mädchen dort so zugerichtet hat, er versteht etwas vom Umgang mit Silber», überlegte Sibylla.
    Die Mutter hatte sich gefasst und betrachtete die Tote wie einen Gegenstand.
    «Ein Silberschmied also?», fragte Eva schaudernd.
    Die Mutter zuckte die Achseln. «Ein Silberschmied, ein Kannengießer, ein Waffenschmied, ein Bronzegießer, ein Aufbereiter oder einfach nur ein Verrückter.»
    Eva schluckte und legte eine Hand an ihre Kehle: «Kein Mensch hat einen solchen Tod verdient.»
    Sie schüttelte sich, dann fragte sie die Umstehenden: «Weiß man, wer sie ist?»
    «Ein Mädchen aus einem der Badehäuser. Sie ist wohl erst seit der Fastenmesse in Frankfurt und hatte ungefähr Euer Alter. 18 Jahre, sagte der Besitzer des Badehauses. Ich kannte sie; sie war ein nettes, hübsches Ding», antwortete eine Frau,
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