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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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Kanonenladung Georgs Leib in tausend blutende Fetzen zerschmetterte. Dem jungen Burschen blieb nicht einmal die Luft, um sich mit einem lauten Schmerzensschrei vom Leben zu verabschieden – er war sofort tot. Jerg, der nicht mehr wußte, ob er selbst noch lebte oder schon in der Hölle schmorte, beugte sich über die blutige, feuchte Masse, die einmal Georgs kräftigen Oberkörper ausgemacht hatte. Vom Blut seines Kameraden überströmt, richtete er sich auf und schrie besinnungslos vor sich hin, ohne daß sein Mund dabei irgendwelche Worte formte. Er bemerkte nicht, wie einer der Angreifer gezielt seine Büchse auf ihn richtete, um loszufeuern. Erst als er von Weiland grob zu Boden gerissen wurde, spürte er die Kugel, die an ihnen vorüberschoß.
    »Warum hast du mich nicht sterben lassen? Warum? Warum?« Immer wieder schrie er dem Pfarrer die gleiche Frage ins Gesicht, rang auf dem Boden liegend mit ihm, bis Weiland selbst die Luft zum Atmen fehlte.
    »Um Himmels willen, Jerg! Komm zur Besinnung!« röchelte er schweißüberströmt, während Hufe achtlos über die beiden am Boden liegenden Männer traten und neben ihnen unter scharfen Kommandos erneut ein Kanonenrohr geladen wurde. Keiner schenkte den beiden am Boden liegenden, blutüberströmten Gestalten auch nur einen Blick. In den Augen der Angreifer war ein halbtoter Bauer bereitsein toter Bauer. Um ihn konnte man sich später immer noch kümmern. Jetzt galt es, sich um den Rest der Lebenden zu kümmern. Von Gefangennahmen hielten sie dabei recht wenig.
    Von all dem bekam Jerg nichts mit. Er sah nur Georg, wie er in tausend Teile zerschmetterte. Weiland erkannte in Jergs Augen die hämische Fratze des Wahnsinns, der im Begriff war, sich einzunisten. Mit der Bestimmtheit eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hat, startete er seinen letzten Versuch, Jerg ins Leben – oder das, was davon übriggeblieben war – zurückzuholen. Alle Gründe zählte er auf, für die es sich in seinen Augen zu leben und zu kämpfen lohnte.
    Doch Jerg war jeder Kampfeswille abhanden gekommen. Mit leerem Blick schien er nichts um sich herum wahrzunehmen. Schweren Herzens wollte Weiland gerade aufgeben, als Jerg plötzlich aufsah.
    »Cornelius?«
    Weiland hielt die Luft an.
    »Cornelius«, wiederholte Jerg und legte die Stirn in Falten. »Was für ein Ochse war ich, daß ich mich gegen ihn, mein eigen Fleisch und Blut, stellte. Hätten wir nur auf ihn und Feuerbacher gehört und wären in Herrenberg geblieben! Und wenn es das letzte ist, was ich auf dieser Welt tue, ich möchte ihn um Verzeihung bitten. Bete dafür, daß ich nicht zu spät komme.«
    Er kam zu spät.

15.
    Mit dem Wissen um den gewaltvollen Tod seines Bruders hatte Jerg jeder Überlebenswille verlassen. Nachdem sie Cornelius von einer Lanze erstochen aufgefunden hatten, war esWeiland gewesen, der versuchte, dem Toten zumindest ein notdürftiges Grab zu bereiten. Als er damit fertig war, gönnte er sich keine Rast, sondern grub bis spät in die Nacht mit blutigen Fingern weiter, um auch den armseligen Rest von Georg mit Erde zu bedecken. Während Weiland seinem Herrgott die Seelen der brutal abgemetzelten Männer anvertraute, waren die johlenden Siegesschreie der Soldaten über das Moor hinweg zu hören. Am nächsten Morgen, so lautete der Befehl ihres Anführers, würden sie sich um die Geflüchteten kümmern, für heute jedoch konnten sie mit ihren Erfolgen zufrieden sein. Während der Truchseß im rußigen Schein einer Funzel in sachlichen, nüchternen Worten das Tagesgeschehen aufschrieb, grölten seine Männer aus rotweingeölten Kehlen ihren Triumph in die Nacht. Während er einen Boten ausschickte, um Erzherzog Ferdinand von der erfolgreichen Schlacht zu berichten, kniete Weiland auf dem blutigen Erdreich, um einen letzten Segen für die Gefallenen zu erbitten.
    Es war Weiland, der Jerg in den nächsten Wochen unaufhörlich zum Weitergehen antrieb, der die abendlichen Verstecke ausmachte, der etwas zu essen und zu trinken besorgte. Es war Weiland, der Jerg mit einem alten Mantel bedeckte, als sie im strömenden Regen die Orientierung verloren hatten und einen halben Tag lang im gleichen Waldstück herumirrten.Weiland zwang Jerg wieder auf, wenn dieser liegenbleiben wollte. Er drückte ihn zu Boden, wenn ihnen Soldaten auf der Suche nach Flüchtigen beinahe über den Weg liefen.
    Nie setzte Jerg sich zur Wehr, wenn Weiland ihn wieder einmal barsch aufforderte: »Wir müssen weiter. Wir müssen heim nach
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