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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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geblieben«, sagte Ron. »Sie scheint sich völlig aufgelöst zu haben.«
    »Schon gut, Ron, du musst nicht jedes Detail aufzählen«, entgegnete Myriam, doch er hörte nicht auf.
    »Er hat sie geprügelt, bis das rohe Fleisch hervorkam, bis er auf die Knochen traf. Nicht nur die Haut ist zerfetzt, auch die Muskeln, die Nerven. Er hat sie regelrecht aufgeschlitzt.«
    »Herrgott, Ron, es reicht.«
    »Herrgott, Herrgott«, wiederholte Ron sarkastisch, fast schon boshaft. »Wer soll das sein, verdammt noch mal, dieser Herrgott, den du da zu Hilfe rufst? Dass du als intelligenter, aufgeklärter Mensch diesen Ausdruck überhaupt noch in den Mund nimmst! Das zeugt schon fast von Ignoranz, als ob du nicht sehen willst, was in dieser Welt, in diesem Land vor sich geht!«
    »Werd nicht melodramatisch, Alter.«
    Myriam war erleichtert, als Henri endlich den Raum betrat. Wirklich, ich sollte unseren lächerlichen Streit von heute Morgen einfach vergessen, dachte sie. Er hat es nicht ernst gemeint. Doch Henri ignorierte sie. Er zog Handschuhe über, ging in die Knie und beugte sich zu dem Mädchen hinunter. Einige Sekunden erwiderte er ihren Blick, aus dem das Entsetzen starrte, dann fuhr er sanft mit der rechten Hand über die Lider und schloss die Augen der Toten für immer.
    »Aber womit?«, fragte Myriam. »Hat er ein Messer benutzt?«
    »Nein«, Henri schüttelte entschieden den Kopf, während er sich erhob.
    »Was dann?«
    »Ich glaube, eine Peitsche«, stellte er ruhig fest. »Er hat sie ausgepeitscht.«
    »Ausgepeitscht?«, knurrte Ron, die Lippen zusammengepresst. »Ausgepeitscht? Das Mädchen wurde gegeißelt!«
    Gegeißelt.
    Existierte dieses Wort noch? Stand es nicht schon lange auf der Abschussliste? Ganz oben auf der Liste der bedrohten Wörter?
    »Wo bleibt Veit?«, fragte Myriam. Die Anwesenheit des Gerichtsmediziners Dr. Henning Veit wirkte stets beruhigend auf sie.
    »Ich habe schon mit ihm telefoniert«, erklärte Ron. »Jennifer hat eine Tanzaufführung an ihrer Schule, aber er ist auf dem Weg hierher.«
    »Hast du bereits Informationen über die Tote?« Henri beugte sich nach unten und hob ein Buch auf, das dort aufgeschlagen lag.
    »Moment«, Ron zog einen Notizblock hervor. Verwundert stellte Myriam fest, dass seine Hände zitterten. »Ihr Name ist Helena. Helena Baarova.«
    »Ein tschechischer Name«, kommentierte Henri abwesend, während er in dem Buch blätterte.
    »Sie hat diese Wohnung gemietet«, fuhr Ron fort. »In ihrer Handtasche haben wir einen Studentenausweis gefunden.«
    »Wer hat die Leiche entdeckt?«, wollte Henri wissen.
    »Zwei Jungen.«
    »Was für Jungen?«
    »Schüler, fünfzehn und sechzehn Jahre alt.«
    »Was wollten sie hier?« Henri las noch in dem Buch.
    »Offenbar hat das Mädchen heute Geburtstag.«
    Henri blickte auf. »Geburtstag?«
    »Ja. Sie wollten ihr gratulieren, hatten sogar Blumen dabei.« Ron wies mit der Hand auf einen welken Strauß gelber Rosen, der am Boden vor der Balkontüre lag.
    »Wo sind die beiden jetzt?«
    »Wir mussten einen von ihnen …«, Ron warf einen prüfenden Blick auf den Block. »David Hus, wir mussten ihn ins Krankenhaus bringen. Er hatte einen schweren Asthmaanfall. Ich schätze, sie behalten ihn über Nacht. Zur Beobachtung.«
    »Was ist mit dem anderen?«
    »Bevor wir hier eintrafen, war er, Simon, die Ruhe selbst. Er hat sogar gewusst, wie er bei seinem Freund erste Hilfe leisten musste. Doch als wir die Wohnung betreten haben, ist er zusammengebrochen. Laut Notarzt handelt es sich jedoch lediglich um einen leichten Schock. Er hat ein Beruhigungsmittel erhalten und wurde von einem unserer Beamten nachhause gebracht, der seine Aussage aufnimmt.«
    »Und der andere Junge? Wie war sein Name?«
    »David.«
    »Also, wann können wir mit David sprechen?«
    »Wenn der Arzt es erlaubt. Ehrlich, ich habe geglaubt, der überlebt den Anfall nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen. Er war im ganzen Gesicht blau, als wäre er direkt vom Mars.«
    »Marsmenschen sind grün«, entgegnete Henri ungerührt. »Das solltest du wissen, falls dein Sohn dich mal fragt.«
    Bis Dr. Henning Veit eintraf, vergingen nicht mehr als zehn Minuten. Im Gegensatz zu sonst trug der Rechtsmediziner einen hellen Anzug. Ein ungewohnter Anblick. Er nickte ihnen lediglich zur Begrüßung zu und machte sich sofort an die Arbeit.
    Seine Hände strichen zunächst langsam über die Finger des Mädchens, als versuche er, sie zu beruhigen. Dann holte er aus seinem Koffer eine Schere
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