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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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und begann das rote Tanztrikot von der Brust an nach unten aufzuschneiden. Seine Bewegungen waren vorsichtig, gleichzeitig lief sein Blick immer wieder über den Körper, während er jedes Detail in sich aufnahm.
    Myriam wollte, dass er etwas sagte, irgendetwas.
    »Hat der Täter sie gefesselt?«, unterbrach sie die Stille. »Damit sie sich nicht wehrt?«
    Veit richtete sich auf, um die Anzugjacke abzustreifen. »Nein.« Seine Hand wischte eine blonde Strähne aus der Stirn. »Das glaube ich nicht. Ich kann keine Fesselspuren an den Handgelenken erkennen.«
    »Aber«, Myriam fühlte sich irritiert, verwirrt. »Warum hat sie einfach stillgehalten?«
    Veit zögerte kurz, bis er schließlich mit einem tiefen Seufzer entschied: »Das Mädchen hat nicht stillgehalten.«
    »Aber...«
    »Ehrlich gesagt«,Veit drehte ihr den Rücken zu und beugte sich wieder nach unten. »Ich glaube, sie hat getanzt, solange sie sich auf den Beinen halten konnte.«
    Getanzt? Das Wort hing in der Luft. Es ergab keinen Sinn. Was sollte das bedeuten?
    Dass der Täter das Mädchen unermüdlich, ja erbarmungslos mit der Peitsche angetrieben und es sich dazu im Kreise gedreht hatte? Wie eine Porzellanballerina auf diesen kitschigen Spieldosen? Zu Mozarts Kleiner Nachtmusik?
    War es das, was Veit meinte? Sollte sich Myriam das vorstellen? Dass ein Mädchen einfach weitertanzte, während die Peitsche über ihren Körper knallte?
    Das konnte er nicht ernst meinen.
    »Das ist abartig«, Myriam schüttelte den Kopf. »Niemand tut sich das freiwillig an.«
    Veit richtete diesen abgeklärten Blick auf sie, der besagte, er habe schon zu viel gesehen, als dass er nicht an das Unmögliche, das Unfassbare glauben könnte.
    »Tatsache ist, sie war Tänzerin«, meldete sich Ron zu Wort. Er deutete auf zahlreiche Fotos an der unverspiegelten Wand: Unverkennbar Helena Baarova in verschiedenen Kostümen und unterschiedlichen Tanzpositionen.
    »Schau her«, hörte sie Veit.
    Sie wandte den Kopf erneut dem Mädchen zu.
    Der Zeigefinger des Gerichtsmediziners fuhr eine besonders tiefe Linie entlang, die vom Brustbein nach links über die Taille nach hinten führte. Sein Finger wechselte zu einem Schnitt am Unterschenkel.
    »Was meinst du?« Myriam konnte nichts erkennen, nur blutige Striemen auf einer weißen Elfenbeinhaut, die man kaum noch als Haut identifizieren konnte.
    »Schau genau hin!«, wiederholte Veit eindringlich.
    Myriam ging in die Knie, kniff die Augen zusammen.
    Veit hatte ihr einmal erklärt, dass er sich beim Anblick einer Leiche immer den Menschen vorstellte, wie er vorher ausgesehen, sich bewegt, gesprochen hatte, unverletzt, unbeschädigt, unversehrt, kurz: lebendig.
    Myriam schloss für einen Moment die Augen... tatsächlich... Der schmale, weiße Körper dieses Mädchens. Wie war ihr Name? Helena! Sie holte tief Luft. Und mit der Luft, die sie einatmete, schoss das Adrenalin durch sie hindurch und brachte Wut an die Oberfläche. Wut und Zorn.
    »Die Haut des Menschen ist vergleichbar mit der einer Zwiebel«, hörte sie Veit neben sich mit sachlicher Stimme erklären. »Die Striemen, die die Tatwaffe auf dem Körper hinterlassen hat, sind von unterschiedlicher Tiefe. Wir unterscheiden die Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut. Je nach der Kraft, die auf die Haut ausgeübt wird, sind die unterschiedlichen Schichten betroffen. Hier an den Waden gehen sie nicht tiefer als bis zur Lederhaut. Aber hier an der Brust sind größere Blutgefäße geplatzt, wie sie in der Subcutis liegen. Die Kraft, die hier eingewirkt hat, war also stärker!«
    »Aber«, Myriam hörte den Zweifel in ihrer Stimme. »Das heißt doch nicht, dass sie getanzt hat.«
    »So eine Kraft, diese enorme Wucht der Schläge, konnte sich nur entwickeln, während das Mädchen in Bewegung war.«
    »Sie hat sich gewehrt«, murmelte Myriam, wobei sie es sich aus tiefster Seele wünschte.
    »Dann wäre nie diese schöne, gleichmäßige Schnittlinie zustande gekommen. Schau genau hin! Du musst auf zwei Dinge achten!«
    Myriam starrte auf den blutroten Streifen, dem Hennings braungebrannter Zeigefinger folgte.
    »Beachte zunächst die Tiefe des Einschnittes.« Er zog den Spalt vorsichtig auseinander und ging anschließend mit dem Finger in die Furche. »Ich kann das Brustbein berühren. Und dann ist der Verlauf der Striemen aufschlussreich. Immer dieselbe Breite, dieselbe Tiefe. Es gibt kaum eine Abweichung.« Er wandte sich an Henri. »Hilf mir mal.« Gemeinsam hoben sie das Mädchen ein Stück
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