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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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Wasser, den ihr Marinette, die Dienerin, reichte. »Nun komm schon, Jacquou! Wenn du nichts isst, wirst du nie groß und stark.«
    »Oh, ich bin schon groß genug für einen Mann, Dame Bertrande«, gab Jacquou zurück und ließ eine dicke Hühnerkeule und einen kleinen geräucherten Schinken in einer Serviette auf seinen Knien verschwinden.
    »Was meint Ihr, wird Euch Nantes fehlen?«, fragte die Gastgeberin nun und wandte sich an die drei Stickerinnen, die mit gutem Appetit aßen.
    »Ehrlich gesagt geht es uns um einen viel größeren Gewinn«, sagte Gaëlle. »Bei Meister Yann in Nantes muss man ein Sticker sein, wenn man anerkannt sein will. Wir Frauen müssen immer erst einfordern, was uns zusteht. Es heißt, Königin Anne ist gerecht und großzügig zu ihren Stickerinnen.«
    Blanche de Montbron zuckte die Achseln.
    »Als Anne noch da war«, sagte sie, und tupfte sich mit dem Saum der weißen Serviette den Mund ab – ganz wie es damals die guten Sitten verlangten, »duldete sie keine unterschiedliche Behandlung von Stickern und Stickerinnen. Jetzt aber ist sie weit weg und kann ihre alten Werkstätten nicht mehr überwachen.«
    »Ja ja, das stimmt schon! Aber soweit ich weiß ist Meister Coëtivy nicht geizig zu seinen Arbeiterinnen. Das würde ich auch nicht dulden. Ach, eh ich’s vergesse – ihr habt es doch nicht eilig. Warum bleibt ihr nicht ein Weilchen hier, anstatt morgen in aller Frühe wieder aufzubrechen?«
    »Nein, das geht auf keinen Fall!«, rief Jacquou. »Sie müssen unbedingt in drei bis vier Tagen in Amboise eintreffen, und ich sollte eigentlich bereits in Tours sein. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
    »Seht doch nur, wie eilig er es hat, seine Lehre anzutreten!«, begeisterte sich Dame Bertrande, und ihr bewundernder Blick ruhte auf Jacquou.
    Eloïse und Gaëlle nahmen ihre Becher und tranken einen Schluck von dem leichten Wein, der ihnen offensichtlich gut schmeckte. Zu vorgerückter Stunde wurden die jungen Freundinnen dann auch immer fröhlicher. Blanche und Louise ließen immer wieder den Namen »Anne« fallen, lachten wie verrückt und fanden alles wunderbar komisch. Obwohl der Rosé d’Anjou ein leichter Wein war, konnte er einem doch zu Kopf steigen und erheiterte schließlich auch Dame Bertrande, die sehr anschaulich und temperamentvoll schilderte, wie sie als junges Mädchen ihren lieben Coëtivy verführt hatte.
    Jacquou, den dieses Thema überhaupt nicht interessierte, vor allem seit er erfahren hatte, dass sein Meister auch sein Vater war, nutzte die Gelegenheit, um sich davonzuschleichen – die Taschen voller Köstlichkeiten, denn zum Dessert hatte es verschiedene Süßspeisen, Apfelkuchen und Mandeltorte gegeben.
    »Werden wir wohl viele Hermeline sticken?«, wollte Annette nun von Blanche wissen.
    »Ganz bestimmt. Anne möchte sie überall haben – auf ihrer Wäsche, ihren Tischtüchern, den Servietten, den Pantoffeln und den Häubchen, den Gürteltaschen, auf ihren Geldkatzen und sogar auf den Pferdedecken ihrer Zelter. Und seit sie Witwe ist, scheint sie schier gar nichts anderes mehr im Sinn zu haben, als ihre Hermeline sticken zu lassen – als würde ihr zukünftiger Gatte, der Herzog von Orléans, sie ihrer geliebten bretonischen Angewohnheiten berauben wollen.«
    Mit leicht geröteten Wangen und glänzenden Augen stand Eloïse jetzt auf.
    »Ich glaube, ich mache einen kleinen Spaziergang«, sagte sie.
    »Ihr werdet Euch nur den Tod holen, Herzchen. Geht lieber schlafen. Auf Eurem Zimmer brennt ein schönes Feuer.«
    »Ja, aber …«
    Louise kam ihr zu Hilfe. Sie hatte gemerkt, dass Eloïse Alix einen Besuch abstatten und sie fragen wollte, ob sie vielleicht noch etwas brauchte.
    »Oh, ich fürchte, ich habe meine Geldkatze in der Kutsche vergessen«, rief sie und stand ebenfalls auf. »Ich komme mit, Eloïse. Macht Euch keine Sorgen, Dame Bertrande. Wir sind in fünf Minuten zurück.«
     
    Sie fanden Jacquou und Alix eng umschlungen unter einer dicken Decke auf dem Boden der Kutsche liegend. Das Wageninnere wurde von einer Fackel, die in einer Ecke brannte, schwach erhellt.
    »Jacquou«, flüsterte Eloïse, »du musst jetzt ins Haus.«
    Der junge Mann fuhr erschrocken hoch und legte den Finger auf den Mund.
    »Pst, leise, sie schläft. Ich wollte sie nicht allein lassen, bis sie eingeschlafen war.«
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Alix hat nie Angst. Sie hat schon weitaus Schlimmeres erlebt, seit ihre Mutter tot ist«, seufzte Eloïse.
    »Die arme
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