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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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zustimmend.
    »Geh jetzt, Jacquou! Annette hat Recht. Ich muss jetzt vernünftig sein, weil ich nämlich nicht in ein Kloster gesperrt werden will.«
    Dabei klang ihre Stimme so erregt, dass ihr Annette einen dicken Kuss auf die Backe gab.
    »Mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Es dauert nicht mal mehr eine Woche, bis wir da sind, und dann finden wir schon eine Lösung, damit du bei uns bleiben kannst.«
    »Bist du ganz sicher?«
    »Weißt du nicht mehr, dass wir es unserer Freundin, deiner Mutter, versprochen haben? Sie wollte auf keinen Fall, dass wir dich alleinlassen – jedenfalls nicht ehe du in der Lage bist, ohne uns zurechtzukommen.«
    »Ach, vielen Dank!«, rief das Mädchen. »Mit euch und jetzt auch noch mit Jacquou bin ich das glücklichste Waisenmädchen auf der ganzen Welt.«
     
    »Es ist sehr freundlich von Euch, dass Ihr uns empfangt, Dame Bertrande. Hoffentlich machen wir Euch nicht zu viele Umstände«, sagte Louise de Chatillon zu der freundlichen Frau, die sich offensichtlich nach Kräften bemühte, es allen recht zu machen.
    »Wir haben ein Paket für Euch. Es ist ein Geschenk von Königin Anne«, fuhr Blanche de Montbron fort und lächelte ihre Gastgeberin freundlich an.
    »Oh!« Dame Bertrande wirkte überrascht und ein bisschen ratlos. »Wie aufmerksam von der Königin – wir sind sehr gerührt. Aber ich muss zugeben, dass ich wirklich sehr glücklich über Euren Besuch bin. Leider kommt es nicht besonders häufig vor, dass ich so viel Jugend um mich habe.«
    Dann betrachtete sie die beiden jungen Zofen der Königin, die wohl kaum wirklich zu den drei jungen Stickerinnen passten. Aber sie blieben immerhin natürlich und fröhlich und unterhielten sich mit ihnen wie mit Gleichgestellten.
    Dabei wirkten sie wie das genaue Gegenteil. Die Kleider von Louise und Blanche waren ganz aus Samt und gewirktem Satin; die ihrer Begleiterinnen dagegen aus blauem oder grauem Baumwollzeug, was zwar gut zu ihren kleinen, strahlend weißen gestärkten Häubchen passte – woran man aber dennoch ihren untergeordneten Stand erkannte.
    Dame Bertrande lächelte alle an. Ziemlich dick und ein wenig außer Atem, sobald sie zu viel redete, mit einem tellerrunden Gesicht und freundlichen grauen Augen, warf sie plötzlich die Arme in die Luft und rief:
    »Aber da ist ja Jacquou! Wo warst du denn, mein Kleiner, als mich alle diese netten jungen Damen begrüßt haben? Und gütiger Gott – Meister Coëtivy ist gar nicht mitgekommen!«
    Zufrieden beobachtete sie eine Weile die jungen Mädchen, die sehr vergnügt und voller Lebenslust wirkten. Dann wandte sie ihre üppige Büste samt dem runden Gesicht in Richtung Speisesaal, wo die Köchin zugange war.
    »Gleich gibt es Abendessen, meine Herzchen, ihr müsst ja ganz verhungert sein. Aliette hat uns etwas Feines gekocht. Und dann erzählt ihr mir, was es Neues gibt.«
    »Wollt Ihr denn gar nicht Euer Geschenk von der Königin sehen?«
    »Oh doch, natürlich!«, rief Dame Bertrande, und ihre Augen funkelten vergnügt.
    »Geh doch bitte das Paket holen, Jacquou«, sagte Louise.
    »Nein, nein. Das mach ich schon«, mischte sich Annette ein. »Wenn Jacquou geht, kommt er bestimmt nicht zurück.«
    »Warum sollte er nicht zurückkommen?«, fragte Dame Bertrande lächelnd. »Er hat bestimmt auch Hunger.«
    Ohne weitere Diskussion begannen sie das Souper in bester Laune. Doch ehe man sich über die köstlichen Pasteten in Blätterteig hermachte, wurde der kostbare Wandbehang bewundert, den die jungen Mädchen unter den staunenden Blicken von Dame Bertrande und Jacquou ausrollten.
    Das Geschenk von Königin Anne war prächtig. Es bestand aus drei bestickten Bahnen mit ländlichen Szenen. Mit seinen wunderbaren Farben, die bei den glatten Flächen mit Schrägstichen, bei den erhabenen Motiven in Kettstichen gearbeitet waren, wirkte der Gobelin besonders durch schmale Lederbänder, die mit Goldfaden festgenäht und an den Stellen, wo die Sonne scheinen sollte, mit winzigen funkelnden Perlen bestickt waren.
    Die drei miteinander verbundenen Teile bildeten eine vollkommene Einheit. Für die Zeit der Aussaat leuchtete der Behang in verschiedenen Tönen von erstaunlichem Frühlingsgrün, die ineinander übergingen. Die Ernte präsentierte sich in leuchtendem Ocker und die Weinlese in unvergleichlich glänzendem Purpurrot.
    »Unser Jacquou kann sich gar nicht wieder von diesem Meisterwerk losreißen«, witzelte Dame Bertrande und tauchte ihre Finger elegant in den Krug mit lauwarmem
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