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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer
Autoren: Andrea Schwarz
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Gespräch über Glauben und Religion und Kirche. Schließlich kommt das Essen, dazu eine Flasche Wein - und Neville fragt, ob wir vorher beten wollen. Nach kurzem Hin und Her betet er schließlich auf englisch vor - nicht ohne klargestellt zu haben, daß das nächstemal ich an der Reihe sei.
     
     

Montag, 26.5.
     
     
    Zubiri, 20.00 Uhr
    Ein schöner, aber durchaus mühsamer Tag liegt hinter mir. Der Weg war stellenweise nur matschig, es gab riesige Wasserpfützen - immer wieder erforderte das ein Anhalten, Überlegen, wie kommt man da jetzt am besten an dieser Stelle vorbei, an ihr vorüber? Irgendwie - ich habe den camino nie mit Matsch und Dreck verbunden, aber genau das war er heute -matschig und dreckig. Durch diese vielen Sumpfstellen komme ich überhaupt nicht in einen Laufrhythmus hinein - und das kostet mich viel Kraft. Dazu bin ich durch die Übernachtung im Hotel erst spät weggekommen und kam heute nachmittag in die Hitze hinein - ich erlebe mal wieder die Grenzen dessen, was im Moment bei mir geht, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Der Abstieg vom letzten Bergpaß, dem Monte Erro, nach Zubiri hinunter, ist schwierig - wieder bin ich müde, der Weg erfordert viel Aufmerksamkeit - und nach meinen beiden Stürzen bei Abstiegen, damals im Allgäu, gestern auf dem Weg nach Roncesvalles, habe ich da anscheinend meinen mentalen Schaden weg. Ich gehe vorsichtig und langsam und muß viel an Kraft investieren. Dazu kommt, daß das linke Knie aufgrund der Belastung schmerzt. Eben, auf der ebenen Straßenstrecke hier zum Restaurant, ging es schon wieder - trotzdem. Mal sehen, wie es morgen wird.
    Übrigens, Restaurant: Hier hat der Besitzer die Chance erkannt und bietet eine Speisekarte in den vier Sprachen des camino an: spanisch, französisch, englisch, deutsch. Ich empfinde jetzt schon den camino als ausgesprochen lernintensiv, was Sprachen angeht - aber man muß halt zugleich in der Lage sein, von der einen auf die andere Sprache umzuschalten. Noch antworte ich oft mit »merci«, wenn mir jemand was hinstellt, und gelegentlich denke ich schon mal wieder in Englisch. Spannend und ein bißchen verquer wird es dann, wenn ich den englischen Urlaubsgast heute morgen im Hotel frage, was eigentlich bezahlen auf spanisch heißt - oder wenn ich in einem französisch-spanischen Wörterbuch nachschlage, wie man denn »eau potable« in spanisch nennt. Sprachenmischmasch...
    Begegnungen auf dem Weg - da gehörten heute die Kühe dazu. Beim Abstieg vom ersten Paß, ein wunderschöner, schmaler Bergpfad, höre ich plötzlich ein Läuten - und denk mir: Jungvieh! Und da steht die erste Jungkuh auch schon vor mir -und bleibt angesichts meiner verblüfft stehen. Hinter ihr tauchen vier, acht, zehn andere Jungkühe auf, vollkommen irritiert über das ungewöhnliche Hindernis auf dem gewohnten Weg. Klar ist, wir kommen nicht aneinander vorbei. Ich sehe es ein, die anderen sind zwar in der Überzahl, aber haben auch erheblich mehr Angst. Ihnen wird mit Sicherheit keine intelligente Lösung einfallen. Ich stelle mich auf den Ausweichplatz, der zufällig gerade vorhanden ist und schicke im stillen ein Dankgebet an die Freunde im Allgäu, bei denen ich in den letzten Jahren ein bißchen was über den Umgang mit Kühen gelernt habe. Der ersten Kuh rede ich gut zu und winke sie höflich vorbei. In dem Fall gilt es wirklich: Die ersten sind die mutigsten, drei oder vier Kühe ziehen an mir vorbei, leicht indigniert zwar, aber immerhin. Die anderen sind ängstlicher, sie sehen die anderen davonziehen, wollen hinterher, trauen sich aber nicht an mir vorbei, schließlich brechen sie durch das Unterholz, im ausreichenden Sicherheitsabstand zu mir. Immerhin - sie kommen noch um mich herum. Nur ein Jungkalb, das allerkleinste, kann mit der Situation überhaupt nichts anfangen. Es muht verzweifelt, als es die anderen verschwinden sah, traut sich aber nicht hinterher zu gehen, und als ich schließlich näherkomme - ich kann ja auch nicht den halben Tag darauf warten, daß ein Kalb zu einer Entscheidung kommt - dreht es sich schließlich um und trabt und trottet in all seiner Verzweiflung vor mir den Bergpfad wieder hinunter. So habe ich zwar für zehn Minuten eine nette Begleiterin - aber schließlich steht das Kalb unten allein am Zaun, ich schließe das Gatter hinter mir, und es schaut mich sehr verloren und ein bißchen verzweifelt an. Aber ich kann ihm nun auch nicht helfen, all mein Zureden, mein Zurückbleiben, mein Ausweichen auf
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