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Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Christine Feehan
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gespannt zu sehen, was sie tun würde. Außerdem war er sich sicher, dass er sie töten könnte, falls sie eine falsche Bewegung machte.
    »Weil ich nicht wirklich hier bin, sondern in einer Klinik liege, die viele Kilometer entfernt ist«, antwortete sie. »Ich weiß nicht einmal, wo hier ist.«
    Traian runzelte die Stirn und rieb sich die Augen. Farben bombardierten ihn wie ein Feuerwerk von glühenden Funken, die hinter seinen Lidern explodierten. Na prima, dachte er. Das Letzte, was er angesichts einer neuen potenziellen Bedrohung brauchen konnte, war, jetzt auch noch blind zu werden. Die Frau machte allerdings gar keinen bedrohlichen Eindruck. Wenn überhaupt, wirkte sie eher belustigt und hatte etwas Heiteres und Gelassenes an sich. Sie war auch nicht durchsichtig, aber vielleicht sagte sie trotzdem die Wahrheit. Ihre Stimme hatte ein leises, wohlklingendes Echo, als wäre sie tatsächlich körperlos.
    »Mir erscheinen Sie real genug.«
    »Warum in Herrgotts Namen liegen Sie in einer Höhle im Schmutz herum?« Ihr leises Lachen ging ihm durch und durch. »Sie haben das hier doch wohl nicht mit einer Schönheitsfarm verwechselt?«
    Traian blieb fast das Herz stehen, und er blinzelte ein paarmal, als die Farben hinter seinen Lidern zu einem spektakulären Schauspiel von schillernden Regentropfen wurden. Diese Frau anzusehen hob seine Welt aus den Angeln. Ihre simplen Fragen hatten eine Veränderung bewirkt, die nicht mehr rückgängig zu machen war.
    Er war sich jeder Einzelheit bewusst – der Kühle im Inneren des Berges, des blau schimmernden Eises und der atemberaubenden, vor Tausenden von Jahren entstandenen Architektur der Höhle. Am faszinierendsten fand er jedoch das glänzende dunkle Haar der Frau, das von Strähnchen in so vielen verschiedenen Brauntönen durchzogen war, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab. Ihre Augen waren von einem kühlen Grau, während ihre Wimpern und Augenbrauen ihrer Haarfarbe entsprachen. Dazu hatte sie einen sinnlichen Mund mit kleinen, blendend weißen Zähnen. Die Lachfältchen um ihren Mund und ihre Augen deuteten darauf hin, dass sie Humor besaß. Ihre Haut war sonnengebräunt und schimmerte wie helles Gold.
    Er sah Farben! Nach Hunderten von Jahren einer öden, grauen Existenz, in der er in einer Welt ohne Farben oder Emotionen gelebt hatte, war plötzlich sie da, die andere Hälfte seiner Seele , und blickte mit neugierigen Augen und einem amüsierten Lächeln um die Lippen auf ihn herab. Sie hatte Blut an ihrer Schulter und Prellungen im Gesicht, und bekleidet war sie mit einem dünnen, äußerst merkwürdig geschnittenes Kleid, das nicht allzu viel von ihr bedeckte.
    Traian kniff die Augen zusammen, um zu sehen, was für Verletzungen sie hatte. Hatte sie nicht etwas von einem Krankenhaus gesagt? »Was ist Ihnen passiert?«
    Sie lächelte ihn an, als wären diese Verletzungen völlig unwichtig, obwohl sie sein Herz vor Furcht zum Rasen brachten und sein Magen sich vor Schreck verkrampfte. Sie hatte ja keine Ahnung, wie wichtig sie für ihn war. Seine Seelengefährtin. Nach so vielen endlosen Jahren war sie endlich da!
    »Ich wurde angeschossen.« Sie berührte ihr Gesicht und zuckte zusammen, als täte es weh. »Und jemand hat mich ins Gesicht geschlagen. Aber ich erinnere mich an all das nur verschwommen. Sie haben mir Medikamente gegeben, und auf die habe ich noch nie gut reagiert.«
    Zum ersten Mal flimmerte ihr Körper ein wenig und begann, fast transparent zu werden.
    »Warten Sie! Gehen Sie noch nicht!« Fast wäre er aufgesprungen, um sie zurückzuhalten, aber er wusste, dass seine Hand durch sie hindurchgehen würde, als wäre sie nicht wirklich da.
    Traian war noch nie in seinem Leben in Panik geraten, oder jedenfalls nicht, soweit er sich erinnern konnte. Er hatte unzählige Kämpfe hinter sich, doch ob diese Frau nun real war oder nicht, er sah nun endlich wieder Farben und verspürte Emotionen. Gefühle, richtige Gefühle … Das zumindest war real. Aber war es möglich, dass er in einer Halluzination gefangen war? Er hatte sehr viel Blut verloren – zu viel –, und es gab nichts in dieser Höhle, um es zu ersetzen. Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, dass er sich eine Erscheinung wie diese Frau zusammenfantasieren könnte.
    Furcht. Freudige Erregung. Schock … Diese Empfindungen waren viel zu stark, um nur Erinnerungen zu sein. Die Frau musste real sein. Traian hatte keine Ahnung, wie sie zu der Höhle gelangt war, aber sie war
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