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Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Christine Feehan
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weil ihre Beine plötzlich wie aus Gummi waren. »Bring den Senator und Mrs. Goodvine in Sicherheit, John!« Aus der Ferne war schon das Heulen von Sirenen zu vernehmen. »Und jemand soll dieser armen Frau aufhelfen.«
    »Alles unter Kontrolle, Joie«, beruhigte sie einer der Agenten. »Wir haben den Fahrer. Wie schlimm bist du verletzt? Wie oft bist du getroffen worden? Gib mir deine Waffe.«
    Joie blickte auf die Schusswaffe in ihrer Hand und stellte verwundert fest, dass sie sie auf den reglos daliegenden Angreifer gerichtet hielt. »Danke, Robert. Ich glaube, für eine Weile werde ich einfach dir und John die Sache überlassen.«
    »Ist sie okay?«, konnte sie die besorgte Stimme des Senators fragen hören. »Sanders? Sind Sie verletzt? Ich will sie nicht einfach hierlassen! Wohin bringen Sie uns?«
    Joie versuchte, den Arm zu heben, um zu zeigen, dass es ihr gut ging, doch er war schwer und wollte ihr nicht gehorchen. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete tief durch. Sie musste nur für kurze Zeit in ein Krankenhaus, damit die Ärzte sie wieder zusammenflicken konnten. Es war nicht das erste Mal, dass sie angeschossen worden war, und sie bezweifelte, dass es das letzte Mal sein würde. Sie hatte gewisse Instinkte, die sie in ihrem Beruf bis ganz nach oben gebracht hatten, und ganz oben war es nun mal sehr gefährlich.
    Joie verstand es sehr gut, sich anzupassen. Einige ihrer Kollegen nannten sie deswegen »das Chamäleon«. Sie konnte hinreißend attraktiv, völlig unscheinbar oder auch einfach nur ganz durchschnittlich aussehen. Sie schaffte es, sich in der Gangsterszene zu bewegen, ohne aufzufallen, unter Obdachlosen oder auch unter den Reichen und den Schönen. Es war ein wertvolles Talent, das sie gern einsetzte. Sie wurde fast immer für die schwierigen Aufträge herangezogen, bei denen Action unvermeidlich war. Nur wenige andere konnten so gut wie sie mit Messern oder Schusswaffen umgehen, und niemand konnte in einer Menge untertauchen, wie sie es fertigbrachte.
    Jetzt benutzte Joie eine andere ihrer Gaben und verließ ihren Körper, um für ein paar Minuten interessiert das hektische Treiben um sie herum zu beobachten. Die Kollegen, die dem Senator zugeteilt waren, und die österreichischen Agenten hatten alles unter Kontrolle. Sie selbst wurde in einen Krankenwagen verfrachtet und schnell vom Tatort weggebracht. Dabei hasste sie Krankenhäuser mehr als alles andere. Sie hatte zu viele von ihnen gesehen und verband die Gerüche dort mit Tod. Mehr als nur ein paar ihrer Mitarbeiter und Freunde waren durch Krankenhaustüren gegangen – oder geschoben worden – und nie wieder herausgekommen.
    Joie wusste nicht, ob sie wirklich an Astralreisen glaubte, doch sie hatte schon als Kind aus ihrem Körper heraustreten können. Über die Jahre hatte sie die Kunst perfektioniert und gelernt, davonzufliegen und ihr körperliches Ich zurückzulassen, wenn sie irgendwo war, wo sie nicht sein wollte. Es war ein nützliches und aufregendes Talent, und sehr real. Manchmal zu real. Oft waren die Orte, an denen sie sich wiederfand, weitaus interessanter als die, an denen sie ihren Körper zurückgelassen hatte, und es bestand natürlich auch immer die Gefahr, dass sie den Weg zurück nicht finden würde.
    Sie hatte viele Artikel über Astralreisen gelesen, und die meisten schienen aufgeklärte, gläubige Menschen zu erleben, die an ein höheres und besseres Reich glaubten. Joie war erheblich pragmatischer veranlagt, da sie so oft mit den düstereren Seiten des Lebens konfrontiert wurde und ihren Glauben in der Natur und Schönheit wilder, unberührter Orte fand, die sie sowohl auf einer astralen Ebene als auch mit ihrem körperlichen Ich aufsuchte, wenn ihre Zeit es ihr erlaubte.
    Der Krankenhausgeruch war so überwältigend, dass er ihr den Magen umdrehte. Leute eilten um sie herum, gaben ihr Spritzen und redeten mit leiser Stimme, während sie ihr das Hemd aufschnitten. Joie nahm in der Regel keine Schmerzmittel und versuchte, es dem Klinikpersonal zu sagen, aber niemand hörte ihr zu. Eine Sauerstoffmaske wurde ihr über das Gesicht gestülpt. Was nützte es, an einem Ort zu bleiben, an dem sie nicht sein wollte, wenn sie im Geist die Welt durchstreifen konnte? Ob sie wirklich dort war oder nicht, war nicht so wichtig. Es fühlte sich auf jeden Fall sehr real an, wenn sie ihr körperliches Ich von sich abfallen ließ. Also nahm sie einen tiefen Zug von dem Sauerstoff und löste sich von ihrem Körper.
    Frei
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