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Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)

Titel: Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Christine Feehan
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wie ein Vogel, entfernte sie sich einfach von dem Krankenhaus und allem, was sie daran so hasste. Sie wollte im Freien sein, am Himmel oder unter der Erde in einer Welt von unterirdischer Schönheit – es spielte keine Rolle, wo die Reise hinging, solange sie nur nicht innerhalb der Mauern eines Krankenhauses bleiben musste.
    Joie fühlte sich gewichtslos und frei auf dem Weg durch die Berge, über die sie schon so viel gelesen hatte. Während sie losgelöst in schwindelerregende Höhen stieg, plante sie einen Höhlentrip mit ihrem Bruder und ihrer Schwester, sobald der Senator und seine Frau wieder sicher zu Hause waren. Sie legte große Strecken zurück, roch den Regen und fühlte sich angenehm erfrischt im feuchten Dunst der Berge. Tief unter sich sah sie den Eingang zu einer Höhle. Er war von einem schmalen Streifen Mondlicht erhellt. Lächelnd ging sie herunter und betrat eine Welt aus Kristall und Eis. Ob sie träumte oder halluzinierte, spielte keine Rolle; das einzig Wichtige war, ihren Schmerzen und dem Geruch des Krankenhauses zu entkommen.
    In den Karpaten
    Traian lag in der kühlen Erde und blickte zu der hohen, kathedralenähnlichen Decke auf. Sein Körper schmerzte an so vielen Stellen, dass Traian nur noch ruhen wollte. Die atemberaubende Schönheit der Höhle lenkte ihn von seinen Schmerzen ab. Das Netzwerk von Höhlen tief unter der Erde, in das er sich zurückgezogen hatte, war wie ein Teil einer riesigen unterirdischen Stadt. Von der Decke fielen mächtige Wasserfälle aus Eis herab, von denen einige sich überkreuzten und wie prächtige Schleifen aus dickem Eis aussahen, als wäre die ganze Höhle, in der er lag, wie zu einem Geschenk verpackt.
    Trotz der Kälte lebten einige Insekten und Fledermäuse in den höher liegenden Bereichen, aber er war noch viel tiefer hinabgestiegen, dorthin, wo nur noch sehr wenige Lebewesen existieren konnten. Die Kälte half, den Schmerz zu betäuben und Traian ein tröstliches Gefühl von Frieden zu vermitteln, das er auch dringend brauchte nach den vergangenen Nächten. In einer entfernten Ecke war die Höhle sogar so geformt, dass sie aus mit Eisnebeln bedeckten, massiven Eiswänden zu bestehen schien. Während Traian daran arbeitete, einige der noch immer glühenden Schlacken aus seinem Körper zu entfernen, versuchte er, sich die Kräfte vorzustellen, die es erfordern würde, etwas von solch dramatischer Schönheit tief unter der Erde zu erschaffen.
    Als er den Kopf wieder zurücklegte, sah er sie . Bei ihrem Anblick stockte ihm das Herz, und dann begann es so wild zu schlagen, dass es ihm schier den Atem raubte. Sie schwebte direkt über ihm. Irgendwie hatte sie seine Schutzzauber überwunden und war völlig lautlos in die Höhle gekommen. Oder war er so erschöpft gewesen, dass er ein solch wichtiges, lebensrettendes Detail wie die Schutzzauber vergessen hatte? Nein, das war unmöglich. Er konnte deutlich das Gewebe dieser Zauber spüren, das stark genug und immer noch an Ort und Stelle war. Nichts und niemand dürfte in der Lage sein, an diesen Schutzzaubern vorbeizukommen.
    Neugierig musterte er die Frau. Sie hatte kinnlanges dunkles Haar, dessen seidig glänzende Fülle einen Mann geradezu einlud, mit den Fingern hindurchzufahren. Der Gedanke ließ Traian innehalten. Er dachte nie so über Frauen – oder zumindest nicht, soweit er sich erinnern konnte –, und er hatte schon ein sehr, sehr langes Leben hinter sich. Sie hatte große graue, von dichten Wimpern gesäumte Augen, die mit unverhohlenem Erstaunen seinen Blick erwiderten.
    »Sie sind verletzt«, sagte sie. »Wenn Sie real wären, würde ich einen Notarzt kommen lassen.«
    Ihre Stimme schien ihm bis unter die Haut zu gehen, sich um sein Herz zu legen und so fest zuzudrücken, dass ihm der Atem stockte und seine Sicht verschwamm. Winzige Lichtpunkte explodierten hinter seinen Lidern wie ein Feuerwerk aus Farben. Anfangs waren sie nur pastellfarben, sodass einige der Eisgebilde zarte Blau- und Grüntöne vor seinen Augen annahmen.
    Traian räusperte sich. »Wie kommen Sie darauf, dass ich nicht real bin?«, fragte er, nicht sicher, ob sie real war oder nur seiner überreizten Fantasie entsprang. Aber er war schon tausendmal verwundet worden, und nichts dergleichen war ihm je passiert. Eine Frau, die über seinem Kopf schwebte? In der Luft hing wie ein Engel? Traian war so weit entfernt vom Himmel, dass nichts von alldem einen Sinn ergab. Als Mann, der nicht zur Panik neigte, war er jedoch
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